In der Frankfurter Rundschau vom 6. Februar 2009 erl�uterte Franz M�ntefering aufschlussreich,
knackig und spritzig, was heute links ist. Diese Frage ist heute
aktueller denn je. Schlie�lich befindet sich der Neoliberalismus
gegenw�rtig in der Sackgasse, nachdem er drei�ig Jahre weltweit gew�tet
und die soziale Entwicklung sowohl in reichen kapitalistischen Staaten
wie in L�ndern des S�dens um Jahrzehnte zur�ckgeworfen hat. Statt mit
dem versprochenen Wirtschaftswachstums sind wir mit der gr��ten Finanz-
und Weltwirtschaftskrise nach 1932 konfrontiert. Auch deshalb ist es
politisch hoch aktuell, die Jahrhundertfrage, "was links ist",
aufzuwerfen.
"Links ist Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarit�t und sozialer Fortschritt, Demokratie, Internationalit�t und Frieden". Darin kann man M�ntefering uneingeschr�nkt zustimmen, auch mit manchen Details, was er jeweils darunter versteht. Links ist allerdings auch der st�ndige Schutz und die Weiterentwicklung dieser Werte. Links ist ferner die F�higkeit, einen undurchl�ssigen Schutzschirm �ber den Lohn- und Gehaltsabh�ngigen, den Schwachen und Habenichtsen der Gesellschaft aufzuspannen, erst Recht zur Abwehr der Neigung der Verm�genden und der Kapitaleigent�mer, ihren Reichtum und ihre Macht zu Lasten der Schw�cheren in der Gesellschaft zu vermehren. Die Glaubw�rdigkeit einer Politik mit linkem Anspruch kann gerade an diesen Eigenschaftsmerkmalen, die M�ntefering nicht erw�hnt, gemessen werden, wohl kaum jedoch am blo�en Bekenntnis zu diesen Werten.
M�ntefering gibt mir mit seinem Beitrag dankenswerterweise die Gelegenheit, die Glaubw�rdigkeit einer von ihm mit vertretenen "linken" Politik kritisch zu hinterfragen. Kann also die SPD, so lautet meine Frage, f�r sich in Anspruch nehmen, in den Jahren ihrer Regierungsverantwortung nach der Abwahl der Kohl-Regierung 1998, ihren Schutzschirm �ber linke Werte und �ber die Besitzlosen und Bed�rftigen der Gesellschaft tats�chlich aufgespannt zu haben und war sie gar der Motor einer Weiterentwicklung linker Werte und einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in unserm Land?
Die ehrliche Antwort bei einer unvoreingenommenen Auswertung der SPD-Politik der letzten 11 Regierungsjahre hei�t leider ohne Wenn und Aber NEIN!
Zur Person
Mohssen Massarrat ist deutsch-iranischer Prof. i. R. f�r Politik und
Wirtschaft an der Universit�t Osnabr�ck. Sein letztes Buch
"Kapitalismus. Machtungleichheit. Nachhaltigkeit" ver�ffentlichte
Massarrat 2006 im Hamburger VSA-Verlag.
Versuche Helmut Kohls, der noch existierenden keynesianische Hegemonie mit diffamierenden Angriffen auf den Sozialstaat, "Deutschland ist kein kollektiver Freizeitpark", populistisch ein Ende zu setzen, stie�en auf den Widerstand der Gewerkschaften und einer SPD, die aus der Opposition heraus den Durchmarsch des Neoliberalismus noch bremsen konnte. So d�mpelte das von Hans Tietmeyer mit verfasste Lambsdorff-Papier, als deutsches Programm des Neoliberalismus in die Geschichte eingegangen, mehr oder weniger vor sich hin. Die eigentliche neoliberale Wende sollte – so die Ironie der Geschichte - ausgerechnet einer rot-gr�nen Regierung, mit Schr�der und Fischer an ihrer Spitze, vorbehalten bleiben, die 1998 mit einem anspruchsvollen sozial�kologischen Programm Helmut Kohl und seine schwarz-gelbe Regierung in die W�ste schickte. Begann die rot-gr�ne Regierung zun�chst immerhin mit der Selbstverpflichtung, die Zahl der 6 Millionen Arbeitslosen auf die H�lfte zu senken, wie Schr�der ank�ndigte ("sonst h�tten wir es nicht verdient, wiedergew�hlt zu werden"), so vollzog er unter dem Vorzeichen der Globalisierung und dem Scheinerfolg neoliberaler Reformen in Gro�britannien eine politische Wende.
Mit dem Schr�der-Blair-Papier und der verbl�ffenden Neuigkeit, "es gibt keine linke oder rechte, sondern nur eine moderne Wirtschaftspolitik", stellte Gerhard Schr�der die Weichen. Der neoliberale Geist war aus der Flasche, dem Siegeszug des Neoliberalismus stand auf der ganzen Linie nichts mehr im Wege. Tats�chlich konnte diesem politischen Programm der Reichen aller L�nder nichts Besseres passieren, als ausgerechnet durch eine Regierung mit linkem Anspruch hoff�hig gemacht zu werden.
Der Senf zum Pausenbrot: Stephan Hebel, Mitglied der FR-Chefredaktion, bloggt �ber Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur.
Beitrag: Was ist links, Herr M�ntefering?
- Die Arbeitslosigkeit sank zwar statistisch auf offiziell unter 3 Millionen, gleichzeitig entstand aber ein Lohnniedrigsektor mit �ber 8 Millionen Besch�ftigten mit L�hnen, die zum Leben nicht ausreichen. Es entstand ein System von Leiharbeitern (inzwischen 700.000) mit halbem Lohn und vielfach diskriminierenden Arbeitsbedingungen. Zunehmend wurden und werden normale Arbeitspl�tze durch billigere Leiharbeit - die moderne Form der Sklaverei - in allen Bereichen ersetzt.
- Mit der diffamierenden Unterstellung der Arbeitsunwilligkeit der Arbeitslosen wurden die Hartz IV-Regeln eingef�hrt und Millionen Menschen durch dilettantische Schn�ffelei, Zwang zum Wohnungswechsel und andere Schikanen ihrer W�rde beraubt und zu Menschen zweiter und dritter Klasse degradiert.
- Mit der halb wahren Behauptung "die Staatsverschuldung sei die gr��te Ungerechtigkeit, die es gibt" (Hans Eichel) wurden Sozialsysteme gepl�ndert, gleichzeitig mit dem den Lohn- und Gehaltsempf�ngern abgenommenen Geld den Konzernen Steuergeschenke gemacht.
- Die Arbeitszeit wurde erh�ht und gleichzeitig wurden die L�hne gesenkt, somit auch die Gewerkschaften geschw�cht und von einem zum n�chsten Zugest�ndnis getrieben.
Statt die St�rkung der Solidarit�t zu f�rdern, wurde die Spaltung zwischen den Besch�ftigten und Arbeitlosen vertieft, statt einer St�rkung der Solidarit�t zwischen Jung und Alt sowie zwischen den heutigen und den k�nftigen Generationen werden diese wie nie zuvor gegeneinander ausgespielt. Statt mehr Sicherheit zu gew�hrleisten, wurde die Angst der Besch�ftigten, arbeitslos zu werden (laut j�ngsten Umfragen leben 15 Millionen Besch�ftigte in dieser st�ndigen Angst), zum Instrument der Anpassung und der Bereitschaft, alle nur denkbaren Zugest�ndnisse an das Kapital hinzunehmen. Statt die Freiheitsspielr�ume auszuweiten, wurde Millionen Menschen die Freiheit genommen, sich selbst f�r einen Job zu entscheiden. An die Stelle von Zuversicht und Optimismus trat die Ungewissheit der Menschen um ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder. Mit links haben diese Resultate der angeblich "modernen Wirtschaftspolitik" nichts aber auch gar nichts zu tun, mehr noch: sie alle stellen tats�chlich einen Verrat an linken Werten und historischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung dar.
Nun werden die "Verr�ter" abgestraft, nicht nur dadurch, dass ihnen die Mitglieder und W�hler scharenweise davonlaufen, sondern ironischerweise auch durch die Profiteure der neoliberalen Politik: Statt mit den Billionen, die den Lohn- und Gehaltsabh�ngigen und Besitzlosen abgenommen wurden, mehr Wachstum und mehr Arbeitspl�tze zu bringen, verspekulierten die Gro�konzerne und Gro�banken skrupellos die zus�tzlich kassierten Gewinne auf den internationalen Finanz- und Immobilienm�rkten und bescherten uns allen und der internationalen Gemeinschaft die gr��te Finanz- und Weltwirtschaftskrise nach 1932, die in eine neue Welle von Kapital- und Arbeitsplatzvernichtung mit vielen neuen Millionen Arbeitslosen einm�nden wird.
Ungeachtet der katastrophalen Folgen ihres Handelns sollten allerdings zwei Faktoren in Rechnung gestellt werden, die die sozialdemokratische F�hrung ein wenig entlasten: Erstens habe sie nicht durch eigenes bewusstes Handeln neoliberale Projekte umgesetzt, sondern sie sei eher vom neuen scheinbar modernen Geist unbemerkt ergriffen worden und in die neoliberale Falle hineingetappt. Hierf�r spricht beispielsweise das Eingest�ndnis von Franz M�ntefering in der letzten ARD-Talkshow bei Reinhold Beckmann kurz vor Weihnachten 2008, in der er seiner Seele freien Lauf lie�: Bis vor drei Jahren habe er nicht gewusst, was genau Derivate seien, sagte er u. a.. Im guten Glauben, "etwas mehr Wettbewerb" k�nne Wirtschaft und Gesellschaft nicht schaden, Probleme sogar beseitigen helfen, haben M�ntefering und andere f�hrende Sozialdemokraten – so meine entlastende These - sich f�r neoliberale Konzepte und Instrumente stark gemacht.
Zweitens haben keynesianische �konomen es vers�umt, angesichts von dramatischen Ver�nderungen globaler Rahmenbedingungen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und Keynes entsprechend zu modernisieren. Die durch den Club of Rome und Andere Anfang der 1970er Jahre festgestellten "Grenzen des Wachstums" und die gleichzeitig stattfindende informationstechnologische Revolution lieferten jedenfalls genug handfeste Anl�sse, um die traditionell keynesianischen Gleichgewichts- und Besch�ftigungskonzepte auf ihre G�ltigkeit zu �berpr�fen. Unter den Bedingungen schrumpfender Wachstumsreserven (Rohstoffe, Fl�chen, Wasser) und Aufnahmekapazit�ten der Atmosph�re sowie der sinkenden Wachstumsraten der Wirtschaft angesichts zunehmender Konsums�ttigung f�hrten klassisch keynesianische Politikmuster, wie die staatlich forcierte Nachfrage, eher zu mehr Inflation als zur Erh�hung der effektiven Kaufkraft. Und unter den Bedingungen der technologischen Revolution und j�hrlicher Steigerungsraten der Arbeitsproduktivit�t von 2 – 3 % konnte und kann die freigesetzte Arbeit nie und nimmer, weder damals noch heute, durch Konjunkturspritzen aufgefangen werden. Ganz im Gegenteil muss klassischer Keynesianismus unter diesen Bedingungen zu Stagflation, d. h. zu Inflation bei gleichzeitiger Stagnation, f�hren, ohne der wachsenden Arbeitslosigkeit im geringsten entgegenwirken zu k�nnen.
Die historischen Antworten der keynesianischen Theorie auf die neuen Herausforderungen, n�mlich schrumpfende Wachstumsreserven und zunehmende S�ttigung der M�rkte einerseits und dramatisch steigende Arbeitsproduktivit�t andererseits, h�tten dagegen anders lauten m�ssen: �kologischer Umbau der �konomie durch Neudefinition staatlicher Ausgabenpolitik einerseits und sukzessive Arbeitszeitverk�rzung im selben Tempo wie die steigende Arbeitsproduktivit�t und Umverteilung der Arbeit andererseits. Eine �kologisch und sozial politisch angemessene Weiterentwicklung des Keynesianismus fand jedoch nicht statt. Helmut Schmidt landete 1982 in der wirtschaftspolitischen Sackgasse von "mir ist 5 % Inflation lieber als 5 % Arbeitslosigkeit". Nicht zuletzt auch dadurch wurde der Weg f�r den Einzug des Neoliberalismus frei, der das Vakuum ausf�llte, das der stillstehende Keynesianismus hinterlie�.