Die
Ermordung von Ghassem Soleimani auf Befehl von Donald Trump war eine
offene Kriegserklärung der USA an den Iran. Dieser von vielen
Kommentatoren geteilten Einschätzung kann man ohne Wenn und Aber
zustimmen. Mit der Ermordung des hochrangigen iranischen Generals
verfolgen Kriegstreiber und Hegemonialkräfte der USA weiterhin, ihr
Projekt des US-amerikanischen Jahrhunderts voranzubringen. Dazu gehört
das Ziel, die vollständige Kontrolle über den Mittleren Osten und
dessen für die US-Hegemonie existenziellen Ölressourcen niemals aus der
Hand geben zu wollen. Dass die Ermordung des iranischen Generals eine
völkerrechtswidrige und menschenrechtsverletzende Handlung war, steht
außer Zweifel.-NDS
Seit der Machtübernahme der US-Neokonservativen mit George W. Bush
sind wirkungsmächtige Kräfte aus dem Umfeld des
militärisch-hegemonialen Komplexes der USA sehr zielstrebig dabei, die
großen ölreichen Zentralstaaten im Mittleren und Nahen Osten, ohne
Rücksicht auf die Folgen für die Völker der Region und den Weltfrieden –
wie unten näher dargelegt – buchstäblich zu zerschlagen. In diesem
Kontext erscheint mir die Annahme von Thomas Röper plausibel, dass der
US-Außenminister Mike Pompeo Donald Trump zur Ermordung von Ghassem
Soleimani gedrängt und diesen gar aufs Glatteis geführt hat. Röper
zeichnet überzeugend nach, wie seit Oktober 2019 auf Putins Initiative
hin ein Erfolg versprechender Entspannungsprozess zwischen Saudi
Arabien und Iran in Gang gekommen war, in dem Soleimani wie der
irakische Ministerpräsident Abid Abd Al Mahdi eine zentrale
Vermittlungsrolle übernehmen sollten[1].
Dass nach Darstellung des FR-Journalisten Karl Doemens selbst das
Pentagon über Trumps plötzliche Kehrtwendung nach offensichtlich
anfänglicher Ablehnung der Ermordung Soleimanies „perplex war“[2], unterstützt Röpers These.
Es ist tatsächlich kein Geheimnis mehr, dass auch Mike Pompeo –
außer dem geschassten, ebenso Trump zu einem Iran-Krieg permanent
drängenden John Bolton – den mächtigen Kräften des
militärisch-hegemonialen Komplexes sehr nahe steht. Dass gerade John
Bolton zu den ersten gehörte, der dem Präsidenten zu seiner Tat
beglückwünschte, spricht Bände. Offensichtlich haben die ganz
persönlichen Motive Trumps, vor allem Ablenkung von seinem
Amtsenthebungsverfahren und auch der Verbesserung seiner Chancen zur
Wiederwahl, bei seiner Entscheidung eine wichtige Rolle gespielt. Für
diese Vermutung spricht m. E., dass der US-Präsident an beiden
US-Kammern vorbei gehandelt hat, um einer sehr wahrscheinlichen Blockade
seiner Entscheidung vorzubeugen. Trumps Handlung wirft angesichts
seiner unübersehbaren Folgen für den Weltfrieden übrigens ein Licht auf
das politische System eines die Welt beherrschenden Staates, das es dem
Präsidenten ermöglicht, aus rein egoistischen innenpolitischen Motiven
heraus den Weltfrieden aufs Spiel zu setzen.
Eine
der vielen in Washington ausgedachten Aufteilungen der arabischen
Staaten, ist die der „Nahost-Expertin“ Robin Wright, so wie sie vom New
York Times 2013 veröffentlicht wurde, unter dem Titel „Wie aus 5 Ländern
14 werden konnten“
USA wollen hörige Kleinstaaten im Mittleren Osten
Dass es nach der Ermordung von Soleimani bisher nicht zu einem
flächendeckenden Krieg zwischen USA und Iran gekommen ist, hat mit der
moderaten Reaktion von Irans Machthabern zu tun, die vermieden haben,
sich zu einer unüberlegten und den Krieg beflügelnden Aktion hinreißen
zu lassen. Eine aus Rachegefühlen geleitete militärische Reaktion Irans
hätte den Kriegstreibern in den USA in die Hände gespielt und wäre
geeignet gewesen, die gesamte Region in Chaos und Anarchie zu stürzen.
Der Mittlere Osten stand schon immer wegen seiner immensen
Ölressourcen im Visier von hegemonialpolitischen Interessen. Am Anfang
des 20. Jahrhunderts sahen die politischen Eliten des British Empire in
der Stärkung von Zentralstaaten mehr Vorteile, um für die gesamten
Territorien dieser Staaten neokolonialistische Verträge zur Ausbeutung
der Ölressourcen zu schließen, als mühevoll mit den regionalen
Stammesfürsten Geschäfte zu machen. Diese Intention mag auch erklären,
warum die Kolonialstaaten Großbritannien und Frankreich nach dem
Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1916 im Sykes-Picot-Abkommen
zahlreiche von Stammesfürsten beherrschte arabische und kurdische
Regionen in überwiegend künstlich zusammengebastelte Zentralstaaten
zusammengefasst haben. Irak, Syrien, Jordanien, Libanon und Saudi
Arabien wurden mit genau dieser Intention gegründet.
Unter den veränderten Bedingungen der Aufkündigung von alten
neokolonialistischen Knebelverträgen und der Entstehung der OPEC hat die
neue Hegemonialmacht USA um die Wende des 20. zum 21. Jahrhundert
dagegen ein dezidiertes Interesse daran, starke zentralistische
Ölstaaten in konkurrierende und sich gegenseitig bekriegende
Kleinstaaten zu zerstückeln. Die USA verfolgen im Mittleren Osten, was
oft übersehen wird, weit über die eigene Energieversorgung hinaus
umfassende hegemonialpolitische Interessen: Die Kontrolle dieser Region
setzt die USA in die ungemein starke Position, ihre eigenen westlichen
Verbündeten, vor allem die EU, Japan, Südkorea u. a., die von den
Ölimporten aus dem Mittleren Osten abhängig sind, mit dem Vorwand der
militärischen Sicherheit der Energieversorgung in Schach zu halten.
Die massive Ablehnung von North Stream 2 durch die USA beruht auch
auf deren Befürchtung, sie könnten ihre Kontrollmöglichkeiten der
EU-Energieversorgung schrittweise aus der Hand geben. Des Weiteren ist
die Kontrolle der mittelöstlichen Ölstaaten die Grundvoraussetzung für
die Abwicklung des Ölhandels in Dollar und die Zementierung der
US-Währung als Weltwährung. Durch diese mehrschichtig wirkenden
hegemonialpolitischen Hebel verfügen die USA über umfassende
Interventionsmöglichkeiten in mehrere Richtungen und sind in der Lage,
ihre Politik von divide et impera sehr wirkungsvoll durchzusetzen[3].Aus
diesen Gründen werden sich die USA aus dem Mittleren Osten, entgegen
anderweitigen Behauptungen, aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht
zurückziehen.
Die Zerschlagung starker Ölstaaten im Mittleren Osten dient im Lichte
dieser Analyse, wie oben erwähnt, der mittel- und langfristigen
Festigung der weltweiten US-Hegemonie. Die aktuelle Entwicklung in
Libyen und Irak belegen eindrucksvoll diese These. Durch die
Zerschlagung des zentralistischen Gaddafi-Staates und die Schaffung von
zwei rivalisierenden Machtzentren in Libyen wurden die Ölkonzerne in
eine höchst komfortable Position gehievt, diese neuen Machtzentren
wirkungsvoll gegeneinander auszuspielen. Diese Machtzentren nehmen
hinreichend Ölrenten ein, um Waffen zu kaufen und gegeneinander Krieg zu
führen. Damit ist also eine unsichtbare Zwangsjacke eines sich selbst
steuernden teuflischen Kreislaufs Öl gegen Waffen etabliert, dem die
innerlibyschen Kontrahenten auf absehbare Zeit nicht werden entrinnen
können.
Dieses Modell funktioniert in einer noch schrecklicheren Weise auch
im Irak, einem Land, in dem Saddam Husseins zentralistischer Staat
zerschlagen und durch einen gänzlich instabilen und von den USA
vollständig abhängigen schwachen Staat ersetzt wurde. In diesem neuen
Irak funktioniert die Ölausbeutung unter der Regie der US-Ölkonzerne
blendend, während die Iraker unter erbärmlichen Armutsbedingungen leben
müssen. Auch hier wetteifern zwei Machtzentren um die Gunst der
Ölkonzerne, das schiitische Machtzentrum in Bagdad und die
kurdisch-nationalistischen Kräfte im Nordirak. Die Gefahr einer
Abspaltung von Irakisch Kurdistan, die da lauert und die fragile
Beziehung zwischen den Machtzentren ständig in Mitleidenschaft zieht,
ist mit Händen zu greifen.
Zu dieser Strategie der Zerstückelung gehört auch das massive
Wettrüsten zwischen Saudi Arabien und Iran, das die USA in den letzten
10 Jahren mit aller Macht geschürt haben und weiter aufrechterhalten. Im
Grunde ist dieses Wettrüsten die Fortsetzung des Wettrüstens zwischen
dem monarchistisch regierten Iran und dem Irak von Saddam Hussein, das
die USA nach dem ersten Ölpreissprung in der zweiten Hälfte der 1970er
Jahre akribisch geschürt haben. Auch während des achtjährigen
Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren, der m.E. nahezu zwangsläufig aus
diesem Wettrüsten hervorging, haben die USA und Israel beide
Kriegsparteien systematisch mit Waffen beliefert, um den Krieg möglichst
lange aufrechtzuerhalten und damit beide Staaten zu schwächen und zu
Verlierern zu machen.[4]
Es war und ist immer noch der vielfach dokumentierte Plan der
US-Hegemonialkräfte, nach Afghanistan, Irak und Libyen auch den
syrischen und vor allem den iranischen Zentralstaat – einem den
US-Interessen im Mittleren Osten am stärksten entgegengesetzten Staat –
in möglichst viele schwache regionale Kleinstaaten zu zerstückeln. Der
Umstand, dass alle diese Staaten Vielvölkerstaaten sind, beflügelt
diese heimtückische Politik, die für die Region jedoch
Umweltzerstörung, Bürgerkriege und Millionen von Toten hervorbringt.
Nicht nur die USA, sondern auch Israel verfolgt aus anderen Gründen
weitestgehend dieselbe Spaltungspolitik im Mittleren und Nahen Osten. Zu
dieser Strategie gehört, dass Israel bisher alle Versuche zu einem
nachhaltigen Frieden mit den Palästinensern torpedierte, die Spaltung
innerhalb von deren Reihen forcierte und auch alle Bemühungen zur
Annäherung und Einigung aller politischen Gruppen für einen Staat in
Gesamt-Palästina erfolgreich unterminierte. Zu Israels Spaltungspolitik
gehören auch die andauernden Versuche, die Volksgruppen im Libanon –
Moslems gegen Christen, Sunniten gegen Schiiten u.a.m. – aufzuwiegeln
und durch mehrere Kriege das Land in seine ethnischen Teile zu zerlegen.
Dazu gehören auch Bündnisse auf Zeit, die Israel mit den
arabisch-sunnitischen Despoten in Ägypten und Saudi Arabien gegen den
syrischen Vielvölkerstaat – übrigens den einzigen laizistischen Staat im
Mittleren und Nahen Osten – geschlossen hat. In dieses Schema passen
auch Israels Versuche, die kurdisch-nationalistischen Separatisten bei
der Abtrennung von Irakisch-Kurdistan vom irakischen Staatsverband
kräftig zu unterstützen.
Zu einer objektiven Analyse gehört, trotz komplexer
Konfliktstrukturen im Mittleren Osten, die Berücksichtigung von
hausgemachten Ursachen für den Erfolg der imperialistischen
Interventionen in den letzten zwei Jahrhunderten. Die Völker und Staaten
dieser Region sind durchaus nicht nur Opfer des Kolonialismus und
Imperialismus. Interne nationalistische und religiöse Ideologien,
Klasseninteressen reicher Eliten und mafiöse Machtstrukturen waren und
sind heute noch für das Desaster und die blutigen Interventionen
mitverantwortlich;
„Die
Sanktionen kommen am 5. November“-„Ich werde mich gegen dich stellen“:
psychologische Kriegführung im Stil von Game of Thrones (2018)
Ghassem Soleimani als Architekt einer Gegenstrategie
Die Eliten der Islamischen Republik hätten rein theoretisch diese
menschenverachtende westliche Zerstörungsstrategie mit der Politik der
regionalen Kooperation und gemeinsamen Sicherheit – was m.E. eine
eindeutig friedlichere und so gut wie keine sozialen und ökologischen
Kosten verursachende Strategie darstellt – durchkreuzen können, was
freilich unter den realpolitischen Bedingungen von diktatorischen
Herrschaftsverhältnissen in nahezu allen betreffenden Staaten einem
weltpolitischen Wunder gleichgekommen wär.[5]
So setzte sich unter intensiver Mitwirkung der Regierung der
Islamischen Republik Iran eine realpolitische Gegenstrategie durch, die
der US-israelischen-Strategie der Zerschlagung zentralstaatlicher
Strukturen diametral entgegengesetzt ausgerichtet war. Geboren wurde die
Idee einer solchen Gegenstrategie in 2001.
Die Al-Kuds-Brigaden – die Auslandsabteilung der iranischen
Revolutionsgarden – unterstützten, ironischerweise unter aktiver
Mitwirkung des jungen Ghassem Soleimani, den US-Krieg gegen die Taliban
in Afghanistan, den die USA und ihre Verbündeten nach dem
Terroranschlag vom 9. September 2001 in New York geführt haben. Gegen
die Taliban hatten die USA und der Iran, zwar aus unterschiedlichen
Motiven, jedoch immerhin ein gemeinsames Interesse. Ghassem Soleimani
und seine Brigade hatten so am Sturz der Taliban in Afghanistan auf
jeden Fall einen Anteil. Beinahe unmittelbar nach dem Sieg über die
Taliban erklärte George W. Bush, der damals amtierende US-Präsident,
den Iran zum Schurkenstaat und zur Achse des Bösen, der in der ganzen
Welt Terroristen ausbilde und daher bekämpft werden müsse.
Die klerikale Elite des Iran hat diese Botschaft des US-Präsidenten
als klare Kampfansage an die Islamische Republik interpretiert und
angefangen, eine neue militärische Gegenmacht gegen die USA im Mittleren
Osten zu schaffen. Dazu gehörte m.E. das ab 2003 forcierte
Atomprogramm und der Aufbau einer paramilitärischen und mit den Mitteln
der asymmetrischen Kriegsführung ausgestatteten Interventionsmacht für
die gesamte Region mit den Al-Kuds-Brigaden als deren ausführendem
Organ. Die zentrale Aufgabe der Al-Kuds-Brigaden bestand darin, einem
Zusammenbruch zentralstaatlicher Institutionen in Irans Nachbarstaaten
Libanon, Syrien und Irak entgegenzuwirken. Ghassem Soleimani war der
Architekt dieser iranischen Gegenstrategie, der bis zu seiner Ermordung
die Al-Kuds-Brigaden zu einer schlagkräftigen Gegenmacht gegen die USA
und ihre Verbündeten, allen voran Israel, im Mittleren und Nahen Osten
ausgebaut hat.
Eine objektive Betrachtung der Rolle der Al-Kuds-Brigaden im
Mittleren Osten erfordert unweigerlich ihre Einordnung in den historisch
realen Kontext, der darin besteht, dass sich der Iran und die USA nach
der islamischen Revolution 1979 faktisch in einem unerklärten und
schleichenden Krieg in der Region gegenüberstehen. Es handelt sich um
eine militärische Auseinandersetzung mit ungleichen Kräfteverhältnissen,
in der Iran seine militärische Schwäche nur durch die asymmetrische
Kriegsführung ausgleichen kann. Indem jedoch die Kriegstreiber in den
USA und ihre Verbündeten in Politik und Medien die Al-Kuds-Brigaden aus
diesem historisch realen Kontext herausreißen, öffnen sie gewollt oder
ungewollt ihrer moralischen Verurteilung und der Rechtfertigung der
Ermordung von Ghassem Soleimani Tür und Tor.
Dass eine asymmetrische Kriegsführung auch eine Kriegsführung ist,
die mit Gewalt und Blutvergießen einhergeht, gehört zu den Wahrheiten
des Konflikts im Mittleren Osten. Die USA betreiben nach dem Anschlag
auf das World Trade Centre in New York im Mittleren Osten einen offenen
und blutigen Krieg mit bisher über 3 Millionen Toten. Sie haben zur
Entstehung von Zwiespalt, Hass und religiösem Fanatismus in einem
erheblichen Ausmaß beigetragen. Nicht dieser hegemonial getriebene
Staatsterrorismus und die Politik der verbrannten Erde der USA wird,
gerade nach Soleimanis Ermordung, in den westlichen Medien als die
eigentliche Ursache der meisten Kriege und Konflikte im Mittleren Osten
angeprangert, sondern die Al-Kuds-Brigaden, die als Reaktion auf die
US-Politik in der Region erst groß geworden sind.
Es gibt keine moralische Rechtfertigung für einen wie auch immer
gearteten Krieg, weder für den hegemonialen Krieg der USA im Mittleren
Osten, noch für den asymmetrischen Krieg der Al-Kuds-Brigaden. Zu einer
objektiven Analyse gehört allerdings, zwischen Ursache und Wirkung zu
unterscheiden und die Kriegsauseinandersetzungen völkerrechtlich zu
bewerten. Der US-Krieg im Irak 2003 war eindeutig ein Völkerrechtsbruch,
die subversiven Interventionen der USA zum Sturz der syrischen
Regierung ebenso. Nach allem, was man weiß, haben die Al-Kuds-Brigaden
ihre Aktivitäten in Irans Nachbarstaaten nicht gegen, sondern mit
Zustimmung, im Falle Syriens und Irak gar mit dem ausdrücklichen Wunsch
der jeweiligen Regierungen durchgeführt. Jedenfalls ist bisher nicht
bekannt, dass diese Regierungen die Anwesenheit von Soleimanis Brigaden
offiziell als illegal und unerwünscht erklärt hätten. Ohne eine
Zustimmung der Regierungen, ohne enge Kooperation oder gar die
Unterstützung der Bevölkerungen wären militärische und politische
Erfolge Soleimanis undenkbar gewesen. Ihre Auflistung mag untermauern,
dass es dem General in allererster Linie darum gegangen ist, der
Spaltungs- und Zerschlagungspolitik der USA und Israels
entgegenzuwirken.
Soleimani hat am Aufbau der Hizbollah-Miliz im Libanon und zum Sieg
der schiitischen Gotteskrieger im 33-tägigen Krieg gegen Israel in 2006
und damit zur Beendigung der andauernden israelischen
Militärinterventionen im Libanon entscheidend beigetragen. Es war auch
Soleimani, der durch den Aufbau von schlagkräftigen Milizen in Syrien
und die intensive Überzeugungsarbeit bei Putin den Zusammenbruch vom
System Assad verhindert hat. Als die irakischen Kurden dabei waren,
unter dem Beifall von Netanjahu den eigenen kurdischen Staat im Nordirak
auszurufen und damit die endgültige Zerschlagung des Zentralstaats im
Irak zu besiegeln, war es Soleimani, der den Kurdenführer Barzani von
seinen Spaltungsplänen – und zwar ohne Gewaltanwendung und durch seinen
charismatischen Einfluss – abbringen konnte. Und schließlich ist es der
Verdienst dieses im Westen verhassten Generals aus Iran, dem es 2015
gelang, durch die Zusammenführung der zersplitterten schiitischen
Milizen im Irak und der eigenen Al-Kuds-Brigade den Vormarsch der
IS-Truppen, die bis auf wenige hundert Kilometer vor Bagdad vorgerückt
waren, zu stoppen und zurückzuschlagen.
Aus der Sicht von USA, Israels und des Westens insgesamt war
Soleimani der Unruhestifter und Terrorist und jemand, der die Region
destabilisierte. Aus der Sicht langfristiger Interessen der nationalen
und territorialen Souveränität der Staaten in der Region war er dagegen
jemand, der einer von außen betriebenen wirklichen Destabilisierung des
Mittleren Ostens erfolgreich entgegengetreten ist. Vor allem war es
unbestritten ein Verdienst Soleimanis, die große Gefahr der Ausbreitung
der vom Westen und von Erdogans Türkei nachweislich finanzierten und
militärisch hochgerüsteten IS-Kämpfer Einhalt zu gebieten.
Das Dilemma für die Demokratiebewegung im Iran
Es stimmt allerdings auch, dass es der klerikalen Herrschaft im Iran
mit ihrer Gegenstrategie in allererster Linie darum geht, den
Fortbestand ihrer eigenen Macht zu sichern. Dazu müssen sie jedoch die
territoriale Integrität und nationale Souveränität Irans verteidigen,
regionale Verbündete suchen und robuste Allianzen schließen. Ohne
Sicherheit für Iran als Ganzes kann es auch keine Sicherheit für die
gegenwärtige islamische Herrschaft geben. Die Elite der Islamischen
Republik nutzt diese Wechselbeziehung für den Fortbestand der eigenen
Herrschaft. Die Hunderttausenden Regimegegner, die neben den
Regimetreuen an den Trauerfeierlichkeiten von Ghassem Soleimani
teilnahmen, taten dies, weil Soleimani nach ihrem Verständnis vor allem
wegen der Niederschlagung der IS-Truppen im Irak und Syrien, auch für
die Sicherheit Irans sein Leben geopfert hat. Befürworter und Gegner der
Islamischen Republik innerhalb von Iran sitzen, wenn es um den Erhalt
des Staatsverbandes mit allen darin lebenden Völkern geht, ob sie
wollen oder nicht, so gesehen im selben Boot – ein verhängnisvolles
Dilemma für die inneriranische Demokratiebewegung.
Für die Herrschenden im Iran ist es opportun, die Sicherheit des
Staates in den Vordergrund zu stellen, um Regimegegner in die Defensive
zu treiben. Diese wollen jedoch keine USA-hörige Regierung anstelle der
gegenwärtigen Herrschaft. Gleichwohl sind sie dem Risiko ausgesetzt,
vor den Karren der USA und ihrer iranischen Söldner für einen Regime
Change eingespannt zu werden. Trumps Solidaritätsbekundung per Twitter
an die Adresse der Regimegegner auf den Straßen von Teheran gehen exakt
in diese Richtung. Den Kriegstreibern in den USA geht es darum, den
berechtigten Widerstand der Millionen Menschen gegen die klerikale
Herrschaft im Iran für die Veränderung der inneriranischen
Kräfteverhältnisse zu kanalisieren, koste es, was es wolle. Dass durch
ihre propagandistische und vielleicht begleitend auch subversive
Intervention von außen Iran eher ins Chaos, in Bürgerkrieg und in die
Zerstücklung des Landes getrieben werden könnte, steht m. E. nicht im
Widerspruch, sondern in Übereinstimmung mit den Zielen der
US-Hegemonialkräfte.
Das empörende Verhalten der Verantwortlichen der Islamischen Republik
mit ihren drastischen Lügen nach dem Absturz des ukrainischen
Flugzeugs mit 176 Menschen an Bord arbeitet diesen Kräften in die
Hände. Angesichts des Fehlens einer politisch organisierten und bei der
Bevölkerung anerkannten Führung ist es m.E. so gut wie ausgeschlossen,
dass der Widerstand auf den Straßen zum Systemwechsel führen wird. So
oder so, der Spielraum aller gesellschaftlichen Kräfte des Irans für
einen Systemwechsel zur Demokratie ist dramatisch geschrumpft. Es stehen
angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse m. E. zwei
Alternativen an: Entweder errichten die mächtigen Revolutionsgarden in
naher Zukunft eine Militärdiktatur, um ihre eigene Macht und die der
religiösen Herrschaft zu retten. Oder aber es kommt zu einer
politischen Vernetzung zwischen den unzufriedenen Strömungen im
Machtapparat des Systems selbst mit dem systemkritischen Widerstand.
Letztere Alternative dürfte mit erheblich geringeren sozialen Kosten
einhergehen und wäre m.E. auch für die Demokratieentwicklung im Iran
die eindeutig bessere Alternative. Eine demokratische Entwicklung im
Iran und dessen Nachbarstaaten kann nur das Werk der eigenen
Bevölkerungen sein.
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