Sep 04, 2019 15:01 Europe/Berlin

...Der Präsident Trump hat des Öfteren diese Taktik auch gegenüber Nordkorea verwendet: Gesprächsbereitschaft, aber nicht, um Kompromisse zu schließen, um Konflikte friedlich zu lösen, sondern um im Gespräch auch noch zu drohen und die eigene Position durchzusetzen...

ParsToday: Herr Professor Massarrat, die USA verhängten weitere Sanktionen gegen Teheran. Die Strafmaßnahmen richten sich diesmal gegen die iranische Raumfahrtbehörde und zwei mit ihr verbundenen Forschungszentren, wie US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag in Washington mitteilte. Dazu höre ich gerne zunächst einmal Ihre Analyse zu diesen neuen Sanktionen.

Massarrat: Es gibt nichts Neues. Bei jeder Sanktion geht es um die Verschärfung der Eskalation, um die Konfliktlage, wie sie von den amerikanischen Befürwortern eines Krieges herbeigewünscht wird, um diese Konfliktlage aufrechtzuerhalten und in der Eskalation einen weiteren Schritt zu betreiben. Es gibt keinen weiteren Grund für die USA. Es gibt einen politisch-strategischen Grund, einem Krieg näher zu kommen.

 

ParsToday: Also Sie meinen, dass die USA unbedingt auf den Krieg gegen Iran aus sind?

Massarrat: Nicht die USA als Ganzes. Selbst innerhalb der US-Führung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Aber diejenigen, die für einen Krieg sind - dazu gehört auch der Außenminister Pompeo und vor allen Dingen John Bolton; dieser Teil der US-Führung sorgt dafür, dass die Eskalation weiter verschärft wird.

 

ParsToday: Wir haben auch immer wieder gehört, dass die USA keinen Krieg gegen Iran wollen. Auch Iran beteuerte dieselbe  Absicht. Wie erklärt sich dann dieser Widerspruch?

Massarrat: Die Behauptung richtet sich an die Weltöffentlichkeit. Natürlich wird keine US-Führung direkt und ohne jeglichen Grund vermitteln können, wenn sie sagen würde, sie wollen einen Krieg. Es ist immer so bei allen Kriegen, dass die USA, die US-Führung,  gesagt haben, sie wollen keinen Krieg, aber sie müssen eine Gefahr bändigen. Unter Saddam Hussein war die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln, von Atomwaffen. Und im Falle von Iran ist die Behauptung, die USA werden auf keinen Fall zulassen, dass Iran zur Atombombe gelangt. Das sind Begründungen für einen Krieg, auch wenn öffentlich das Gegenteil erklärt wird.

 

ParsToday: Herr Professor Massarrat, Sie haben neulich auch einen Ausführlichen Artikel zu der US-Politik seit 1945 verfasst, in dem Sie sich auch ausführlich mit der US-Politik gegenüber Iran befassen. Was sind die wichtigsten Eckpfeiler dieses Artikels.

Massarrat: Die Vereinigten Staaten sind ökonomisch nicht mehr die Weltmacht Nummer eins, sie sind aber im Hinblick auf drei wichtige Sektoren dominierend. Dazu gehört der Finanzsektor, dazu gehört der militär-industrielle Komplex, dazu gehört auch der Sektor Fossile Energien, der weltweit unter Kontrolle der US-Führung steht. Der neokonservativ ausgerichteten politischen Richtung geht es meines Erachtens mit diesen zwei ökonomisch eigentlich rückständigen Sektoren darum, zu verhindern, dass die USA ihre Vorherrschaft in der Welt verliert, zumal nun neue Weltmächte im Kommen sind. China als neue Weltmacht bedroht die Position der USA, vor allem geht es den Vereinigten Staaten darum,  ihr ökonomisches Hauptinstrument zur Beherrschung der Weltwirtschaft, nämlich Dollar als Weltwährung zu beschützen, die Stabilität des Dollars sicherzustellen. Und nach Auffassung der neokonservativen Experten und Politiker müsste dazu vor allen Dingen die Kontrolle der fossilen Energieressourcen in der Welt weiterhin in der US-Hand verbleiben. Die Neokonservativen wollen auf keinen Fall, dass die US-Vorherrschaft, die nun mal und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als einzige Weltmacht alles zu steht, zusammenbricht, obwohl sie ökonomisch nicht mehr die Weltmacht Nummer eins sind. Dieses Bestreben ist mit Kriegen verbunden, mit dem Interesse,  Hindernisse kriegerisch aus dem Weg zu räumen. Und die Iran-Eskalation wegen  des Atomabkommens mit dem Iran, das Obama  geschlossen hat und   das Donald Trump für das schlechteste Abkommen hält,  und der Austritt davon ist der Vorwand dafür, um auch Iran als eine Macht, die die  Interessen der USA im Energiebereich, im Währungsbereich langfristig in Kooperation mit China,  mit Russland stören könnte,  zu schwächen, möglicherweise sogar durch einen Krieg. Das halte ich für einen Schritt,  den man aus der Politik, aus der Strategie der Neokonservativen in den letzten 20 Jahren sehr gut herauslesen kann.

 

ParsToday: Herr Professor Massarrat, Sie sagten, dass die Vorherrschaft der USA schrumpft und da kommen neue Mächte nach oben. Aber wenn man nun die Politik der USA gegenüber Iran in den letzten zwei Jahren, also  seit dem Amtsantritt des aktuellen US-Präsidenten,  in Betracht zieht, dann ist es nicht so. Wir sehen, dass sich die USA überall  durchsetzen, wenn es zum Bespiel um Iran geht. So sehen wir, dass die Europäer nichts unternehmen, wenn die USA auf völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Iran bestehen.

Massarrat: Ja, das scheint widersprüchlich, aber da ist nicht so. Auf der einen Seite sind die Vereinigten Staaten ökonomisch nicht die Weltmacht Nummer eins. Sie sind in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig. Auf der anderen Seite haben die Vereinigten Staaten nach den Kriegen  Strukturen aufgebaut, die vor allem in den letzten 20 Jahren unter der Politik der Neokonservativen noch deutlich verstärkt worden sind, die die US-Verbündeten zu ihren Halbkolonien gemacht haben. Die Europäische Union ist in mehrfacher Hinsicht von den USA politisch, militärisch und energiepolitisch total abhängig,   obwohl sie ökonomisch stärker als die Vereinigten Staaten ist. Die EU steht unter dem nuklearen Schutzschild der USA. Deutschland, Holland, letztlich auch die zwei Atommächte Frankreich und England können sich ohne den militärischen, den nuklearen Schutzschild der USA rein theoretisch gegenüber einer potentiellen nuklearen Aggression von Russland nicht verteidigen. Das ist das Szenario, das militär-strategisch gedacht wird. Die Russische Föderation verfügt über deutlich mehr nukleare Potentiale. Also - sagen die Europäer, und das wird ihnen auch von der amerikanischen Seite eingeredet - sie brauchen den nuklearen Schutzschild der USA. Insofern sind sie abhängig gemacht geworden. Sie können nicht ohne weiteres eigene Außenpolitik betreiben, die Europäische Union meine ich. Das gleiche gilt für die Energieversorgung. Alle Transportwege, alle fossilen Energiequellen sind unter der Kontrolle der USA. Und das soll auch so bleiben, vor allen Dingen, weil auf dieser Weise die Vereinigten Staaten ihren Verbündeten in Europa, auch Japan immer wieder sagen können: Eure Energiesicherheit hängt davon ab, dass wir die Wege und die Quellen unter Kontrolle haben und dafür sorgen, dass das Öl, das Gas aus dem Mittleren Osten,  aber auch aus Lateinamerika fließt. Die Europäer fühlen sich auch in der Tat abhängig. Sie sagen es nicht, aber sie handeln danach. Ihr Handeln danach bedeutet letztlich Handlungsunfähigkeit gegenüber Staaten wie Iran. Sie sind unfähig und nicht in der Lage z.B. das Atomabkommen, das sie mitabgeschlossen haben,  zu retten, obwohl sie dieses Abkommen verteidigen. Sie sind aber nicht in der Lage dafür zu sorgen, dass Iran die US-Sanktionen umgehen kann. Hier kommt der dritte Faktor, nämlich die US-Währung ins Spiel. Auch die europäische Wirtschaft, vor allem der Finanzsektor,  ist total abhängig vom Dollar. Und diese Abhängigkeit soll auch aus der Sicht der USA, damit die USA die Vorherrschaft auf der Welt auch gegenüber der eigenen Verbündeten behalten kann,  bestehen bleiben. Und sie bleibt auch bestehen, solange Dollar stark genug ist. Und dann haben wir den Zusammenhang wieder zu fossilen Energien. Dollar ist die Währungsbasis für den Öl-Handel. Um  diesen Öl-Handel auf Dollarbasis weltweit aufrechtzuerhalten, arbeiten sie   mit Verbündeten wie Saudi-Arabien zusammen, ein Land, das alles tut, was die Vereinigten Staaten wollen. So bleibt auch      der   globale Schutz der Saudis durch die USA aufrecht, . Iran ist hier ein Unsicherheitsfaktor. Iran würde möglicherweise die Dollarfunktion, die Dollarstabilität - nicht jetzt, aber vielleicht in Zukunft - zusammen mit China und Russland unterlaufen. All das zeigt, dass ein Interesse besteht seitens der Vereinigten Staaten, die eigene Vorherrschaft auf Kosten des Rests der Welt, auf Kosten der eigenen Verbündeten, insbesondere der Europäischen Union aufrecht zu erhalten. Und diese Strategie schließt letztlich auch einen Krieg ein. Das ist meine These, die jedenfalls nichts Gutes sagt über die nächste Zukunft in der Welt, solange die USA diese Vormachtstellung behalten.

 

ParsToday: Wenn wir nun beim aktuellen Thema, d.h. das Atomabkommen oder jetzt Atomstreit bleiben wollen, dann haben die USA - wie Sie auch zurecht in Ihrem Artikel geschrieben haben - mit ihrem Austritt aus dem Atomabkommen Mai letzten Jahres einfach einen  Rechtsbruch begangen und gegen das Völkerrecht verstoßen. Aber wie sehen das die anderen Länder, die gegenüber Amerika einfach machtlos sind. Was gibt es für Möglichkeiten überhaupt, dagegen etwas zu unternehmen?

Massarrat: Es ist leider so, dass die USA vor allem in den letzten Jahren die Hemmschwelle immer wieder das Völkerrecht zu verletzen, längst heruntergesetzt haben, und zwar so, dass dies in Europa gar nicht so auffällt. In den deutschen Medien wird z.B. das Thema, dass das Völkerrecht verletzt wird, dass die USA die UN-Institutionen auf diese Weise schwächen, auch ihre Funktion untergraben, das wird gar nicht thematisiert, obwohl das eine Katastrophe darstellt für eine Weltordnung, in der eine Macht permanent das Recht bricht. Das bedeutet eine Normalisierung des Rechtsbruchs. Dann könnten auch andere Staaten, die dazu in der Lage sein könnten, z.B. China oder Russland, sie könnten auch das Völkerrecht brechen. Dann haben wir im Prinzip eine Welt ohne die UN. Die UN ist Resultat des zweiten Weltkrieges und eine zivilisatorische Errungenschaft für den Aufbau einer auf Recht basierten Weltordnung. Wir sehen auch, wie diese Ordnung allmählich zusammenbricht im Falle der sogenannten Schutzmissionen für die Straße von Hormus. In Europa wird ungehemmt darüber diskutiert in den Medien, ob und warum nicht jetzt auch Europa eine eigene Marine in die Golfregion schickt, um den freien Öl-Handel zu schützen. Es wird wenig oder überhaupt nicht diskutiert, welche Möglichkeiten global bestehen, über die UNO die Straße von Hormus nach dem Völkerrecht zu schützen. Das wäre ja durchaus möglich. Der UN-Sicherheitsrat kann eine Resolution beschließen und dafür sorgen, dass unter der UNO-Flagge die Straße von Hormus im Interesse aller Beteiligten, vor allem im Interesse der Anrainerstaaten des Persischen Golfes geschützt wird. Aber diese Diskussion findet leider z.B. in Deutschland überhaupt nicht statt. Das ist besorgniserregend, weil diese Haltung zeigt, dass man das Völkerrecht im Prinzip nicht mehr erkennt, nicht mehr sieht, aufgrund der permanenten Verletzungen durch die Vereinigten Staaten.

 

ParsToday: Herr Professor Massarrat, die USA bestehen nun auf dem Gespräch mit Iran und das haben sie auch einige Male unterbreitet. Aber was nützt überhaupt ein solches Gespräch, wenn wir sehen, dass diese Gespräche, die früher einmal unter Obama erfolgreich geführt worden sind, nicht nur infrage gestellt, sondern total ignoriert wurden?

Massarrat: Es wird gar keine Garantien geben. Der Präsident Trump hat des Öfteren diese Taktik auch gegenüber Nordkorea verwendet: Gesprächsbereitschaft, aber nicht, um Kompromisse zu schließen, um Konflikte friedlich zu lösen, sondern um im Gespräch auch noch zu drohen und die eigene Position durchzusetzen. Das wird gegenüber Iran auch nicht anders sein. Die Gesprächsbereitschaft ist auch in der Weltöffentlichkeit  erwünscht.  Das wünschen sich die Europäer, das wünscht sich die iranische Regierung. Aber wenn die USA zum Atomabkommen zurückkehren,  dann ist ein Gespräch auch überflüssig. Und wenn die Regierung Trumps bestimmte Punkte im Abkommen ändern will, dann darf sie nicht permanent mit Sanktionsverschärfung drohen, eine Drohkulisse aufbauen, die eine Verhandlung unmöglich macht. Dann muss die Regierung Trumps einen anderen Weg gehen, nämlich nochmal über die UNO, nochmal Verhandlungen mit den Weltmächten. Und wenn sie einen wirklich wichtigen Punkt haben in Bezug auf das Iran-Atomabkommen, dann müssen sie diesen Punkt öffentlich zur Debatte stellen und auf diese Weise einen Konsens herstellen. Da wird sich  Iran  diesem Konsens möglicherweise nicht widersetzen, wenn es darum geht, das Atomabkommen in der Substanz zu schützen.

 

ParsToday: Erlauben Sie mir nur noch eine letzte Frage. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Beziehungen bzw. dieses Abkommens?

Massarrat: Es beginnt allmählich ein großes Dilemma, wenn die Sanktionen weiter verschärft werden, so wie das auch diese Tage wieder passiert ist. Das wird von der iranischen Regierung als eine Provokation empfunden. Die iranische Regierung wird in den Zugzwang gesetzt, zu reagieren. Und die Reaktion der iranischen Regierung kann nichts Anderes sein, als ebenfalls allmählich aus dem Atomabkommen auszusteigen. Und genau auf diese Situation steuert möglicherweise das Kriegstreiberlager in der US-Führung zu. Man will den Konflikt soweit ansteigen lassen, dass am Ende Iran auch als Täter erscheint. Und damit könnte in der Tat die nächste Stufe, die nächste Phase der Propaganda,  gegen Iran beginnen, und damit ein weiterer Schritt in Richtung kriegerische Eskalation. Also,  ich bin in dieser Hinsicht sehr pessimistisch. Es sei denn, die Europäer schaffen es unter Hinnahme von einer Menge von Dollar, die unternehmen, die mit Iran Handel treiben wollen, eins-zu-eins zu entschädigen. Das ist immer noch m.E. möglich, aber noch nicht von den Europäern ins Auge gefasst worden. Die Europäer müssten m.E. wesentlich mehr tun, um Iran zu helfen, gegen Sanktionen vorzugehen. Ich hoffe allerdings, dass die Sanktionen auch eine Lehre sind für die iranische Regierung im Hinblick auf die Umstrukturierung der iranischen Wirtschaft. Die iranische Wirtschaft ist verwundbar, weil sie sehr stark von Import abhängig ist, und sehr schwach auf nationale Produktionsbasis gestützt ist. Die iranische Regierung müsste m.E. die Gelegenheit als Chance nehmen, und eine Veränderung der iranischen Wirtschaft herbeiführen, die nationale Produktion zu stärken. Das kann die iranische Regierung natürlich auch als Maßnahme, um die Inflation zu bekämpfen, um die Importabhängigkeit,  von Öleinnahmen zu reduzieren. Das muss die iranische Regierung machen. es reicht nicht immer wieder auf Sanktionen zu verweisen.

 

 

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