Es ist der 11. Dezember 2013
— zu später Stunde steht die Anne-Will-Talkshow auf dem Programm.
Diskutiert wird der Vorschlag der Bankenregulierung, den die
EU-Kommission vier Jahre nach der Finanzkrise endlich vorgelegt hat.
Mit
von der Partie ist, außer deutschen Befürwortern und Kritikern des
Kommissionsvorschlags, diesmal auch der Investmentbanker und
ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Wie immer
erhitzen sich bei diesem Thema die Gemüter.
Immerhin geht es um die Frage, wer für die Kosten der Bankenkrise aufkommt, die Banken oder die Steuerzahler. Diese Debatte ging aber dem amerikanischen Teilnehmer ziemlich bald gegen den Strich: „wir haben in Amerika die Banken innerhalb von wenigen Wochen verstaatlicht.
Ich verstehe
aber nicht, warum Ihr in Europa so lange braucht, um das Problem
maroder Banken zu lösen.“ Klar, Amerika ist halt aus einem anderen
Holz geschnitzt. Getrost konnte man daher Kornblums viel sagenden
Einwurf übergehen.
In dem einige Tage später in „Die Welt“ anlässlich 5 Jahre Lehman-Pleite erschienenen Beitrag „USA
stürzen Europa in die Krise und ziehen vorbei“ fand man immerhin
Anhaltspunkte für das amerikanische Wunder. Tatsächlich haben die USA schon 2009
erfolgreich sämtliche maroden Banken verstaatlicht, um ihre
Schulden abzustoßen und sie anschließend wieder zu privatisieren,
während in der EU aus der Bankenkrise eine Staatsverschuldungskrise geworden ist. Dabei sind die globalen Wirtschaftsdaten der USA alles andere als rosig: die US-Handelsbilanz weist z. B. seit 1987 ununterbrochen Defizite auf, die in diesen 26 Jahren angehäufte Defizitsumme beträgt 9.627 Milliarden US-Dollar.
Die Ursache dafür ist, dass die US-Ökonomie in Teilen gegenüber ihren Hauptkonkurrenten EU, China und Japan längst nicht wettbewerbsfähig ist. Die Staatsverschuldung der USA kletterte zwischen 2003 und 2013 von 6.731 auf 17.556 Milliarden Dollar um beinahe das Dreifache; die Staatsquote stieg im selben Zeitraum von 60 auf 108 Prozent, damit deutlich rasanter als die Staatsquote der EU, die von 60 „lediglich“ auf 87
Prozent anstieg. Wie aber haben die Amerikaner trotzdem das Wunder
vollbracht, quasi im Handumdrehen ihre Bankenkrise loszuwerden und
davonzuziehen?
Die geheimnisvolle Geldquelle der USA: Die Staatsverschuldung
Gängige
Antworten wie „die Amerikaner haben sehr schnell die Banken
kapitalisiert und sehr früh Stresstests durchgeführt,“ so Andreas
Dombret, das für Finanzstabilität zuständige Vorstandsmitglied bei
der Bundesbank, lassen das Wichtigste, nämlich wo das dafür nötige
Geld so rasch hergekommen ist, ganz offen. Und das in einem Land, das
gerade dabei ist, die riesigen Lasten von zwei kostspieligen
Kriegen in Afghanistan und Irak zu bewältigen und das einen
gigantischen Rüstungshaushalt zwischen 500 und 800 Milliarden Dollar seit dem Jahrhundertanfang unterhält?
Zwar verfügen die USA mit 15.684 Milliarden Dollar Brutto Inlandsprodukt in 2012 über eine sehr mächtige Volkswirtschaft, aber mit 12.785 Milliarden Dollar im selben Jahr, liegtdie EU nur geringfügig hinter den USA.
Durch die Größe der Volkswirtschaft können also Amerikas Wunder der
gleichzeitigen Bewältigung von mehreren finanzaufwändigen
Megaprojekten nicht erklärt werden. In der EU
ist die Frage der Lastenverteilung das größte ungelöste Problem der
Bankenkrise: Die Banken weigern sich, die Lasten alleine zu tragen,
die Regierungen sehen sich andererseits mit zwei roten Linien
konfrontiert, erstens die Belastungen für die Steuerzahler in
Grenzen zu halten und gleichzeitig die selbst verordneten
Schuldenbremsen einzuhalten.
Amerikas Regierungen scheinen dagegen mit ihrer Politik der Vergabe
von Staatsanleihen über eine geheimnisvolle Geldquelle zu
verfügen, mit der sie sowohl die US-Haushaltsdefizite wie die
US-Leistungsbilanzdefizite finanzieren.
Technisch
werden beide Ziele wie folgt umgesetzt: Um laufenden Staatsausgaben
zu tätigen tauscht das US-Finanzministerium Staatsanleihen bei der FED gegen von dieser frisch gedruckten Dollar um– allein in 2013 wurde so 1100 Milliarden Dollar in Umlauf gebracht. Die FED wiederum vermarktet diese Staatsanleihen auf dem Weltmarkt und lenkt so ständig neues Kapital in die US
Ökonomie, das für den Ausgleich der Leistungsbilanzdefizite
sorgt. Der Preis für diese Geldschöpfungspolitik ist die
gigantische Staatsverschuldung.
Um die alten
Anleihen samt Renditen bei Fälligkeit zu bedienen, werden eben neue
Staatsanleihen ausgegeben, die — gegen frisches Deld bei der FED
eingetauscht — erneut in Umlauf gebracht werden. Dieser Prozess kann
beliebig fortgesetzt werden, solange wie Investoren darauf
vertrauen, dass Investitionen in US-Staatsanleihen eine sichere und
profitable Investitionsanlage darstellen. Dieser weitestgehend
verborgene Dollarkreislauf, — Investitionen in US-Staatsanleihen,
steigende Nachfrage nach Dollar, Geldschöpfung durch die FED
— sorgt dafür, dass das Vertrauen in US-Staatsanleihen erhalten
bleibt und ein ständiger Kapitalfluss in die US-Ökonomie
stattfindet. Kein Wunder, dass dann eine unter gigantischen
Handelsbilanzdefiziten leidende Ökonomie, keinen Staatsbankrott befürchten muss. Die Auslandsverschuldung der USA bedeutet Kapitalimport in die USA. In der Kapitalbilanz schlägt sich die Auslandsverschuldung als Kapitalimportüberschuss nieder. Im Zeitraum 2000 bis einschließlich 2013 stieg die Auslandsverschuldung der USA von 5.628,700 auf 17.240,239 ‚somit um 11.620,539 Mrd.Dollar.[1]
Im Klartext flossen in diesem Zeitraum eine zusätzliche
Kapitalmasse, damit also reale Wirtschaftsleistungen aus der
ganzen Welt in dieser Höhe in die USA, während
letztere sich darauf beschränkten, neues Geld zu drucken und in
Umlauf zu bringen. Um die Relationen nachvollziehbar zu machen,
machte die in 2013 in die USA geflossene Kapitalmasse von 1.198 Milliarden Dollar Ca.7, 6 Prozent des BSP
aus. Dieser zusätzlich in die US-Wirtschaft geflossene
Kapitalstock erklärt auch, dass die US-Sparquote in diesem Zeitraum
Richtung Null dramatisch abgesunken ist. Die Amerikaner
konsumierten nahezu ihre gesamten selbst produzierten Waren und
Dienstleistungen, während der Rest der Welt für die Investitionen
aufkam, um Amerikas Wirtschaft am Laufen zu halten.
Mit dem Instrument Staatsverschuldung durch Staatsanleihen und Geldneuschöpfung verfügen die USA
als einzige Ökonomie der Welt über die Möglichkeit, mehrere
Megaprojekte, wie Bankenverstaatlichung und gigantische
Rüstungsausgaben, gleichzeitig zu finanzieren, die eine
Volkswirtschaft niemals und ohne gravierende Folgen aus eigener Kraft
bewältigen kann. Für die geräuschlose Abwicklung der eigenen
Bankenkrise lieferte nämlich die Federal Deposit Insurance
Corporation (FDIC ) das nötige Kapital, deren Finanzbasis im Wesentlichen eben die Staatsanleihen des US-Finanzministeriums sind. Die FDIC
ist eine vom US-Kongress speziell geschaffene Institution, „um
Stabilität und öffentliches Vertrauen in das nationale Finanzsystem
herzustellen.“ Damit ist des Rätsels Lösung für die rasche Abwicklung
der US-Bankenkrise gelüftet, mit der sich der Ex-US-Botschafter John
Kornblum im deutschen Fernsehen brüstete.
Die EU verfügt eben nicht über ein derartiges Instrument, da sie sich — im Unterschied zu den USA
— durch Staatsanleihen und Geldschöpfung statt eines
Kapitalzuflusses eine Inflation einhandeln würde. Die weltweite
Nachfrage nach Euros hält sich in Grenzen, die EU-Währung ist eben
keine Weltwährung, die US-Währung aber schon. Der bei weitem größte
Teil des Welthandels wird immer noch in Dollar abgewickelt. Deshalb
ist die weltweite Nachfrage nach Dollars ungeheuer groß, und sie
wächst in dem Maße, wie der Welthandel wächst. Deshalb können die USA auch mit Hilfe der Gelddruckmaschine laufend Dollars — gegenwärtig über 1.100 Mrd.Dollar im Jahr — in Umlauf bringen und damit ihre steigende Staatsverschuldung mit finanzieren[2].
Deshalb macht sich der US-Ökonom und Wirtschafts-Nobelpreisträger Roger B. Myerson wegen der US-Schulden auch keine Sorgen. Denn, “Die US-Schulden sind in Dollar“, so Myerson,“ und die USA können Dollars drucken. [ ] Wir werden vielleicht Inflation haben. Aber wir werden die Schulden sicher zurückzahlen “ Dass aber die USA ihre Schulden, wie Myerson behauptet, nie zurückzahlen werden, wusste der US-Ökonom Michael Hudson bereits in den 70er Jahren. „Da diese Anleihen des Finanzministeriums in die monetäre Basis der Weltwirtschaft eingebaut sind, müssen sie nicht zurückgezahlt werden, sondern werden unbegrenzt erneuert. Auf dieser unendlichen Umschuldung beruht die finanzielle Freifahrt der Vereinigten Staaten, eine Steuer, die der ganzen Welt auferlegt wird.“[3] Im Grunde ähneln die USA immer mehr den Rentierstaaten, wie z. B. Saudi Arabien. Statt Öl benutzen die USA jedoch den Dollarals Hebel der Aneignung der globalen Kaufkraft, weil er die internationale Leitwährung ist. Während Saudi-Arabien immerhin Öl gegen Leistungen anderer Nationen exportiert, pumpen die USA lediglich Papier in den globalen Geldkreislauf.
Rüstungsausgaben und Staatsverschuldung
Seit der Amtsübernahme von Georg W Bush junior stieg der Verteidigungshaushalt der USA dramatisch an und erreichte 2011 die Rekordsumme von 705.557 Mrd.Dollar.[4] Gegenwärtig geben die USA
soviel für Rüstung aus, wie der Rest der Welt zusammen. Jede andere
Volkswirtschaft wäre mit derart großen unproduktiven Ausgaben
längst zusammengebrochen. Tatsächlich hat das Wettrüsten im Kalten
Krieg zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt, während nach dem
Ende der Blockkonfrontation die USA ihre Rüstungsausgaben erst richtig steigerten und zwar exponentiell, nämlich von 150 Mrd.Dollar in 1990 auf das beinahe Fünffache in 2011.
Der Anteil von Rüstungsausgaben am Brutto-Inlandsprodukt der USA beträgt mit 4%
auch nicht ohne Grund mehr als doppelt so viel wie bei anderen
westlichen Industrieländern. Und dennoch ist das Militärbudget
bei Haushaltsdebatten im Kongress ein Tabuthema. Die Opposition,
die jegliche Erhöhungen bei andern Haushaltstiteln zum Anlass nimmt,
um mit der Regierungspolitik strengstens ins Gericht zu gehen, hält
sich beim Militärhaushalt mit Kritik merklich zurück, es sei denn
wegen zu geringer Steigerungsraten. Auch in den Medien und in der
Gesellschaft finden trotz der ungewöhnlich hohen Rüstungsquote keine
substanziellen Debatten statt.
Wie ist aber diese Gleichgültigkeit der Amerikaner gegenüber ihrem Rüstungshaushalt zu erklären? Könnte es sein, dass die USA
auch ihre Rüstungsausgaben mittels Staatsverschuldung und
Gelddruck decken?Der US-Anthropologe und Vordenker der
Occupy-Bewegung, David Graeber, behauptet das jedenfalls in seinem
viel beachteten Buch „Schulden“. „Die Staatsschulden der Vereinigten
Staaten seit 1790“, so Graeber, „sind Kriegsschulden.“[5]
Für diesen sehr langen Zeitraum mag diese Aussage übertrieben sein,
für die letzten hundert Jahre trifft sie aber, wie die Angaben der
folgenden Tabelle 1 veranschaulichen, auf jeden Fall zu.
Tabelle 1
US-Verteidigungsetat und –Auslandsverschuldung seit 1900
in Milliarden Dollar Jahresdurchschnitt
Dekaden |
US-Verteidigungsetat |
Staats-verschuldung |
Beteiligung an Kriegen |
1900-09 |
kA |
2.3 |
|
1910 – 19 |
kA |
6.8 |
|
1920 – 29 |
kA |
22.83 |
1. Weltkrieg |
1930 – 39 |
kA |
35.35 |
|
1940 – 49 |
33.350 |
182.71 |
2. Weltkrieg |
1950 – 59 |
41.496 |
269.45 |
Koreakrieg |
1960 – 69 |
60.280 |
323.82 |
Vietnamkrieg |
1970 – 79 |
88.997 |
547.27 |
|
1980 – 89 |
231.612 |
924.05 |
Jugoslawienkrieg |
1990 – 99 |
272.495 |
4635.56 |
Irakkrieg |
2000 – 2009 |
465.363 |
7888.10 |
Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen |
2010 |
693.498 |
13528.81 |
Kriegsfolgekosten |
2011 |
705.557 |
14762.22 |
Kriegsfolgekosten |
2012 |
677.856 |
16050.92 |
Kriegsfolgekosten |
2013 |
660.037 |
17249.24 |
Kriegsfolgekosten |
Quellen: Das Schulden-Porträt der USA 1791 – 2013. www.sgipl.org.; Fiscal Year 2014. Historical Tables. Budget of the U.S. Government, Washington DC., S. 143f-144, und eigene Berechnungen.
Für den eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen Kriegen, der Steigerung der Rüstungsausgaben und der Staatsverschuldung gibt es zwei wesentliche Gründe: Erstens können Regierungen — nicht nur in den USA — Kriege durch Staatsverschuldung leichter akzeptanzfähig machen, da man so die Kriegskosten auf mehrere Generationen verteilen kann. Die Finanzierung der Kriegskosten durch direkte Steuern würde dagegen die Bevölkerungen gegen jeden Krieg mobilisieren. So wären die beiden Weltkriege ohne Staatsverschuldung gar nicht möglich gewesen. Auch die USA haben ihre Beteiligung an diesen Kriegen durch Staatsverschuldung finanziert. Da die Vereinigten Staaten vor allem seit dem ersten Weltkrieg bis heute permanent an zahlreichen Kriegen beteiligt waren, ist ihre Staatsverschuldung folglich kumulativ angewachsen. Zweitens verursachen Kriegsschulden generell exponentielles Schuldenwachstum. Denn Rüstungsinvestitionen sind, im Unterschied zu Investitionen in Infrastruktur, die neue Wertschöpfung und entsprechend neue Steuereinnahmen generieren, unproduktiv und bewirken, ökonomisch gesehen, eine Kapitalvernichtung. Die Staatsverschuldung der USA stieg jedenfalls jedes Mal, wie die Daten in der Tabelle 1 belegen, bei einem neuen Krieg sprunghaft an.
Wie man jedoch unschwer erkennen kann, nehmen die Steigerungsraten der Staatsverschuldung der USA einen rasanten Verlauf, seit der Dollar mit der Entstehung des Bretton-Woods-Systems 1944 zur Leitwährung aufgestiegen ist. Noch rasanter stieg die Staatsverschuldung nach dem Zusammenbruch dieses Währungssystems in 1973, somit nach Eliminierung der goldgedeckten Regulierung. Innerhalb von 7Jahren verdoppelt sich die US-Staatsverschuldung von 466 in 1973 auf 909 Mrd.Dollar. Es ist offensichtlich: das faktische Monopol am Weltgeld erklärt, wieso eine Volkswirtschaft wie die der USA, die in vielen Bereichen in der Weltwirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist und chronisch defizitäre Handelsbilanzen aufweist, nicht nur derartige Megaprojekte finanzieren kann, sondern auch einen relativ stabilen Finanzsektor aufweist und eine Währung besitzt, die wie ein Magnet Kapitalüberschüsse aus der ganzen Welt an sich ziehen kann. Damit entsteht aber die Frage, wie es den USA gelungen ist, den Dollar trotz dessen inflationärem Wesen zur globalen Leitwährung zu machen, der sämtliche internationalen Player bis heute großes Vertrauen schenken.
Ölgedeckte statt goldgedeckte Leitwährung
Zur plausiblen Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, wird ein kurzer Exkurs in die Geschichte der US-Währung unumgänglich: bis zur ersten Weltwirtschafts– und Finanzkrise 1927 war das britische Pfund die global anerkannte Leitwährung, die während des zweiten Weltkrieges diese Funktion an die Währung der USA, der neuen Wirtschafts– und Hegemonialmacht, abtreten musste. Großbritannien und andere europäische Volkswirtschaften wurden auf Grund von immensen Kriegsausgaben die größten Schuldnerstaaten, während die USA die Position der Hauptgläubigernation einnahmen. Im Abkommen von Bretton Woods von 1944 wurden dieser Verschiebung der Kräfteverhältnisse Rechnung getragen und der US-Dollar zur neuen goldbasierten Leitwährung mit 35 Dollar für je eine Unze Gold festgeschrieben. Um den Welthandel anzukurbeln, mussten Staaten seit diesem Datum Dollarreserven anlegen, während die US-Zentralbank zur Stabilisierung des Dollarwertes gezwungen wurde, ihre Goldreserven drastisch zu vergrößern. Um einer ungezügelten Dollarvermehrung einen Riegel vorzuschieben, wurde im selben Abkommen die US-Zentralbank verpflichtet, zu jedem Zeitpunkt die Dollarreserven anderer Staaten gegen Gold austauschen zu müssen.
Ungeachtet dieser im Abkommen eingebauten Bremsen haben die USA ihre bewährte Politik der Staatsverschuldung durch Ausgabe von Staatsanleihen fortgesetzt und damit den Vietnamkrieg in den 1960er Jahren mitfinanziert. Doch flog der Schwindel dank sinkenden Dollarwertes auf den Märkten auf. Wohl wissend, dass die USA den Vietnamkrieg auf Kosten von Staaten mit Dollarreserven führten, beendete als erste die französische Regierung – die sich ohnehin ihrer Unabhängigkeit von den USA rühmte — ihre Zurückhaltung und transportierte einen beträchtlichen Teil ihrer Dollarreserven in die USA und zwang die US-Zentralbank entsprechend dem Bretton-Woods-Abkommen zur Rückgabe des Gegenwerts in Gold. Diese Intervention Frankreichs war der Anfang vom Ende der Goldbindung des Dollars. Zunächst entband Richard Nixon, der amtierende US-Präsident, 1971 die Goldbindung des Dollars, dann brach auch 1973 das Bretton-Woods-Abkommen endgültig zusammen. Dadurch brach Amerikas Währungs– und Finanzsystem jedoch keineswegs zusammen. Ganz im Gegenteil und zum Staunen der Fachwelt hat nicht nur der Dollar seine Funktion als Weltgeld gestärkt. Auch die USA selbst untermauerten ihre Hegemonialposition — wieso eigentlich?
Erstens führte die Beendigung der künstlichen Dollaraufwertung bei festen Wechselkursen im Bretton-Woods-System zu einem großen, ökonomisch jedoch ungerechtfertigten Aufschwung der amerikanischen Exporte und so auch der steigenden Dollarnachfrage. Zweitens hatten jene Staaten mit beträchtlichen Dollarreserven die Möglichkeit, oder richtiger keine andere Wahl, als ihre Dollarguthaben zur Vermeidung von Verlusten in US-Staatsanleihen anzulegen, allerdings um den Preis einer dauerhaften Bindung ihres Schicksals an die US-Ökonomie. Drittens nutzten die USA die militärische Abhängigkeit vieler Staaten aus, um diese zum Ankauf von US-Anleihen zu bewegen. Tatsächlich tauschten die Bundesrepublik Deutschland, Japan, Taiwan und Südkorea, die nach dem zweiten Weltkrieg und dem Koreakrieg allesamt zu US-Militärprotektoraten geworden waren, ihre Devisenreserven in US-Staatsanleihen um, was David Graeber als Beleg für seine Feststellung anführt, dass „die neue globale Währung noch fester in der militärischen Macht verankert ist als die alte.“[6] Und viertens — dies ist der allerwichtigste Grund -, weil sich inzwischen gänzlich unbemerkt und naturwüchsig eine andere Stütze für die Dollarwertstabilität in der Weltökonomie herausgebildet hatte: gemeint ist der Handel mit Öl auf Dollarbasis als Folge der nach dem zweiten Weltkrieg rasant steigenden globalen Ölnachfrage.
Das Öl ist wie das Gold selbst ein erschöpfbarer Rohstoff und tendiert daher langfristig ebenfalls zur Wertsteigerung. Das Öl war und ist auch weiterhin der Schmierstoff für die Weltwirtschaft. Das Wirtschaftswachstum war über ein halbes Jahrhundert an das Wachstum des Ölkonsums gekoppelt. Erst steigende Ölpreise und steigende Energieeffizienz entkoppelten diesen Gleichschritt. Öl ist auch das einzig homogene Gut mit steigendem Anteil am Welthandel und wird von allen Staaten der Welt, mit Ausnahme der Ölexporteure selbst, nachgefragt. So hatten sich Amerikas Währung und der Ölhandel bereits in den 1960er Jahren längst zusammengefunden — der Übergang von der Goldbindung hin zur Ölbindung konnte daher in den 1970 er Jahren nahtlos und beinahe unbemerkt stattfinden. Der erste Ölpreissprung von ca. 2 auf über 10 Dollar pro Fass in 1974 hatte über Nacht den Anteil des Öls am Welthandel ohnehin verfünffacht. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts und nach einer längeren Periode von Ölniedrigpreisen bewegt sich der Ölpreis auf dem historischen Hoch zwischen 100 bis 150 Dollar pro Fass. Mit der Ölpreissteigerung stieg auch, wie die untenstehende Tabelle 2 veranschaulicht, der Anteil des Öls am Welthandel und stärkte dadurch abermals die Position des Dollars als das bisher unumstrittene Weltgeld.
Tabelle 2
1970 |
2001 |
2011 |
|
Öl Weltexporte Barrel pro Tag |
25.363808 |
44.787000 |
54.580000 |
Ölpreis Dollar pro Barrel |
2.0 |
22,8 |
111,3 |
Der Wert der Weltölexporte pro Tag Milliarden Dollar |
0.050.72761 |
1021.14 |
6074.75 |
Der Wert der Weltölexporte pro Jahr Milliarden Dollar |
18.52 |
373 |
2217 |
Der Wert der Weltexporte pro Jahr Milliarden Dollar |
317 |
6191 |
18217 |
Anteil Weltölexporte an den Weltexporten in % |
1.7 |
6 |
12 |
Quellen: World Trade Organization 1950 – 2012; BP Statistical Review of World Energy und eigene Berechnungen
Die Dollarschwemme entlud sich nach Richard Nixons Aufhebung der Goldbindung des Dollars also keineswegs, wie allgemein erwartet worden war, in Hyperinflation. Mehr noch: die USA waren dadurch sogar jene völkerrechtlichen Fesseln losgeworden, die das Bretton-Woods-Abkommen dem Dollar und ihrer Staatsverschuldungspolitik auferlegt hatte. Fortan hatten die USA freie Bahn, mit der Vergabe von Staatsanleihen und der Dollarmengenexpansion erst recht loszuschlagen und ihr steigendes Haushaltsdefizit zu Lasten der übrigen Welt zu finanzieren. Als Mutterland des Monetarismus trat also mit ihrer Politik der schrankenlosen Geldvermehrung genau das Gegenteil von dem ein, was die USA andern Staaten direkt oder über den IWF untersagten. Dabei sollte aber das Weltgeld als ein öffentliches Gut angesehen werden (wie z. B. die Weltmeere). Seine Funktion müsste daher darin bestehen, für den reibungslosen internationalen Handel die monetäre Grundlage zu liefern.
Durch die Aufhebung der Goldbindung des Dollars und den naturwüchsigen Übergang zur Öldeckung des Dollars, erlangten die USA jedoch das einmalige Privileg, sich erstmals in der Geschichte der Weltwirtschaft von allen politischen Kontrollen und Einengungen durch die Weltgemeinschaft zu befreien und dadurch die Weltwährung ganz im nationalen Interesse einzusetzen. Dieses verdeckte Monopol in Verbindung mit ihrer Hegemonialmacht schuf so die Grundlage für die Staatsverschuldungspolitik der USA, die Hudson ganz zu Recht „Schuldenimperialismus“ nannte. Die skrupellose Vergabe von Staatsanleihen durch das US-Finanzministerium erscheint in der Außenwahrnehmung zwar als legitime Handlung eines souveränen Staates, in Wirklichkeit ist sie aber die unsichtbare Form einer imperialistischen Aneignung der globalen Kaufkraft, die seit der Aufhebung des Goldstandards neuen Aufschwung erhielt und die bis heute andauert.
Öl und das „Projekt des amerikanischen Jahrhunderts“
Doch können die USA,
die in der ganzen Welt geschaffene Kaufkraft einfach so schlucken,
solange der Ölhandel in Dollar abgewickelt und solange auch der
Status der US-Währung durch andere potentielle Währungen, wie dem
Euro oder Chinas Renminbi, nicht gefährdet würde. Eine Untersuchung
der Ölexportpolitik der wichtigsten Ölstaaten zeigt jedoch, dass
keiner von ihnen ernsthaft die Absicht hegt, ihr Öl in Euro oder in
Renminbi zu verkaufen. Sämtliche Ankündigungen Saddam Husseins in
dieser Richtung haben sich wie viele seiner Drohungen als Bluff
erwiesen. Auch die Islamische Republik Iran wagte zu keinem Zeitpunkt
ernsthaft, ein solches Ansinnen in die Tat umzusetzen. Tatsächlich
wäre auch ein einziger Ölstaat, ja auch mehrere von ihnen zusammen,
außerstande, das große Risiko eines Angriffs auf den Dollar, jenes
monopolistischen Privilegs der USA auf sich zu nehmen. Saudi-Arabien und andere Öldynastien mit ihrem beträchtlichen Anteil am globalen Ölhandel von über 25 Prozent gehören ohnehin zu den ergebensten Verbündeten der USA im Mittleren Osten.
Eine akute Bedrohung läge allerdings vor, wenn alle Ölstaaten,
zusammen mit China, und vielleicht auch Russland sich in einer
Antidollar-Allianz verbündeten. Zwar ist das aus heutiger Sicht
reine Theorie, dennoch als solche auch brisant genug, um die
Hauptprofiteure des US-Monopols, den militär-industriellen
Komplex, den Finanzsektor der USA und die diese Kräfte repräsentierenden US-Neokonservativen zu beunruhigen. Als mächtigste Konkurrenz der USA, kann es sich China tatsächlich nicht leisten, durch seine gigantischen Dollarreserven von 16.000
Milliarden Dollar auf Dauer in gefährlicher Abhängigkeit von der
konkurrierenden Weltmacht zu bleiben. Für Chinas Souveränität und
Sicherheit ist von existenzieller Bedeutung, zu allererst seine
Dollarreserven abzubauen und langfristig seine eigene Währung als
zweite Weltwährung zu etablieren. Auch politisch und ökonomisch
souveräne Ölstaaten haben – rationale Handlungen unterstellt – ein
berechtigtes Interesse, ihre Abhängigkeit vom Dollar und der
US-Politik zu reduzieren und die Freiheit zu besitzen, ihr Öl, um die
eigenen Öleinnahmen zu optimieren, nicht nur in Dollar, sondern
auch in Euro oder auch in Renminbi zu verkaufen.
Man stelle
sich nur einmal vor, der Dollar wäre nicht länger die einzige
Weltwährung und er hätte seine Stabilität notwendigerweise im
schwungvollen internationalen Wettbewerb mit Euro und Renminbi
längst eingebüßt. Das überschüssige internationale Kapital würde
dann im beträchtlichen Umfang von den USA
abgezogen und in der Euro– oder Renminbi Zone investiert werden. Die
bisherige US-Politik der Staatsverschuldung durch die Ausgabe von
Staatsanleihen geriete ins Stocken, das im überfraktionellen
Konsens bestehende Tabu, an den Militärausgaben nicht zu rütteln,
verlöre seine Gültigkeit. Dann bliebe den US-Regierungen auch keine
andere Wahl, als das unverhältnismäßig hohe Militärbudget
drastisch, sagen wir innerhalb von wenigen Jahren, auf die Hälfte zu
senken, um ihre chronischen Haushaltsdefizite abzubauen. Was würde
sich dann aus dieser neuen Lage aber für die Hegemonialmacht USA ergeben?
Innerhalb der USA
würde eine heftige Debatte über Sinn und Unsinn der Rüstungsausgaben
und der weltweiten Militärkapazitäten, einschließlich der über 800 Stützpunkte, mit der Aussicht stattfinden, die USA
massiv und zwar auf ein Maß zu entmilitarisieren, das ihrer
tatsächlichen ökonomischen Stärke entspräche. So wären dann die USA
nicht länger die „einzig verbliebene Weltmacht“, sondern eine von
mehreren Weltmächten. Dadurch würden auch neuartige Macht-Strukturen
und –Gleichgewichte denkbar: Asien würde z.B. zusammenrücken. Diese
Region wie aber auch der Mittlere Osten, Südamerika, Afrika und auch
Europa hätten echte Chancen, sich in regional kooperative und
gemeinsame Sicherheitsarchitekturen zusammen zu finden. Dann
verlören auch nationalistische und rassistische Ressentiments
und Feindbilder stark an Zugkraft. Vielleicht würde auch der
Finanzsektor auf ein sinnvolles Maß schrumpfen und würden sichauch
die Voraussetzungen für eine gerechtere Verteilung des Einkommens
deutlich verbessern. Kurzum, wir träfen auf eine Welt mit mehr
Gerechtigkeit, weniger Finanzspekulation, eine Welt, die
demokratischer und auch friedlicher geworden ist. Die Verlierer eines
solchen Szenarios wären allerdings der militär-industrielle Sektor,
der Finanzsektor und die US-Neokonservativen.
Vor dem Hintergrund dieses denkbaren Szenarios, erscheinen die großen politischen Projekte und sämtliche außenpolitische Aktivitäten der US-Neokonservativen — die authentischsten Vertreter des MIK und Finanzsektors — in einem neuen Licht. Zu diesen Projekten gehört in erster Linie das von ihnen bereits in den 1990er Jahren entwickelte Projekt „Amerikas neues Jahrhundert“ und dessen Herzstück, die Schaffung des „Greater Middle East“. Welche Bedeutung diesen Projekten zukommen soll, erfahren wir am besten aus den offiziellen Texten und Verlautbarungen der Neokonservativen selbst, aus denen im folgenden einige Passagen zitiert werden:
„Die Geschichte des 20. Jahrhunderts sollte uns gelehrt haben, dass es wichtig ist, die Umstände zu gestalten, bevor es zu Krisen kommt, und Bedrohungen entgegenzutreten noch bevor sie dringlich geworden sind. Die Geschichte des vorausgegangenen Jahrhunderts sollte uns gelehrt haben, dass wie uns der Sache der amerikanischen Führungsrolle verschreiben müssen. [ ] Gegenwärtig haben die Vereinigten Staaten keinen Rivalen. Amerikas große Strategieplanung sollte darauf zielen, diese vorteilhafte Position soweit wie möglich in die Zukunft hinein nicht nur zu erhalten, sondern sie auszubauen. Es gibt allerdings potentiell mächtige Staaten, die mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden sind und die die Situation daher gerne verändern würden. Um also die gegenwärtige für die USA wünschenswerte strategische Situation aufrechtzuerhalten, ist eine global militärische Überlegenheit heute und in der Zukunft erforderlich…[…]
Obwohl die internen Sensibilitäten in Saudi-Arabien es gebieten, dass die dortigen US-Streitkräfte nominell rotieren, ist es doch offensichtlich geworden, dass es sich dort um einen dauerhaften Einsatz handelt. Aus amerikanischer Sicht bleibt die Bedeutung solcher Militärstützpunkte erhalten, auch wenn Saddam Hussein von der Szene verschwinden sollte. Auf lange Sicht kann es sich herausstellen, dass der Iran eine große Bedrohung für amerikanische Interessen am Golf darstellt, so wie es zuvor beim Irak der Fall war. Aber selbst für den Fall, dass sich die Beziehungen mit dem Iran verbessern sollten, bliebe die Aufrechterhaltung der Voraus-Streitkräfte am Golf ein wesentliches Element der US-Streitkräfte in Anbetracht der langfristigen Interessen in der Region“[7].
In
unverschlüsselter Sprache übersetzt, streben demnach die
US-Neokonservativen nach Festigung und Ausbau von
monopolistischen Privilegien, die Amerika im letzten Jahrhundert
erzielt hatte. Aus ihrer Sicht sind Bedrohungen der Rivalen jedoch
nur durch militärische Macht möglich. Es ist offensichtlich, Amerika
solle demnach Ostasien (China) und den Mittleren Osten im neuen
Jahrhundert in ihrem Visier behalten, um Bedrohungen
(beispielsweise die sich anbahnenden Annäherungen zueinander, lange
bevor sie vollzogen sind) zu vereiteln und die Verhältnisse zu
eigenen Gunsten zu verändern. In den Dokumenten von „Amerikas neuem
Jahrhundert“ ist von der Herstellung der Bedingungen für Frieden an
keiner einzigen Stelle die Rede, umso mehr jedoch von Kriegen, vom
Ausbau der Militärstützpunkte in der ganzen Welt, von militärischer
Überlegenheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft, von nuklearen
Verteidigungsschilden in der Erdatmosphäre und vor allem von der
weiteren Erhöhung der Rüstungsausgaben.
Trotz 830
Militärstützpunkten überall in der Welt, sollen nach Vorstellungen
der US-Neokonservativen noch weitere, vor allem in Ostasien und
Afrika, eingerichtet werden. Tatsächlich ist seit dem Sieg von
George W. Bush 2001 die Handschrift der
Protagonisten von „Amerikas neuem Jahrhunderts“ in Amerikas
außenpolitischen Aktivitäten klar erkennbar. Die treibende Kraft
hinter den Neokonservativen, in deren Gedankenwelt das Credo der
militärischen Machtvermehrung unerschütterlich verwurzelt zu sein
scheint, ist der militär-industrielle Komplex. Er stellt die größte
Gefahr für die Demokratie in den USA und im Westen sowie für den Frieden in der Welt dar.
Schon Dwight Eisenhower hatte in seiner Abschiedsrede am 17 Januar 1961 vor diesem Ungeheuer gewarnt, das inzwischen in allen gesellschaftlichen Sektoren der USA, in der Wirtschaft, in wissenschaftlichen Einrichtungen und in der amerikanischen Kultur tiefe Wurzeln geschlagen hat.
„Diese Kombination eines gewaltigen militärischen Establishments und einer mächtigen Rüstungsindustrie ist neu in der amerikanischen Geschichte […]. In den Gremien der Regierung müssen wir der Ausweitung, ob aktiv oder passiv, des unbefugten Einflusses des militärisch-industriellen Komplexes vorbeugen. Das Potenzial für einen verheerenden Anstieg der Macht an falschen Stellen besteht und wird bestehen bleiben. Wir dürfen niemals zulassen, dass diese einflussreiche Allianz unsere Freiheiten und demokratischen Prozesse gefährdet. Wir dürfen nichts als selbstverständlich betrachten.“
Dieser mächtige Komplex ringt seit dem Ende der Blockkonfrontation allerdings um seine Fortexistenz und setzt alles in Bewegung, um Amerikas Hegemonie dauerhaft zu machen. Tatsächlich ist die Welt seit diesem Datum nicht, wie man sehnsüchtig erwartet hatte, sicherer und friedlicher, sondern — wie zu Anfang des letzten Jahrhunderts — unsicherer und kriegerischer geworden. Der Islam und Diktatoren wie Saddam Hussein wurden ziemlich rasch an die Stelle der abhanden gekommenen kommunistischen, zur neuen Bedrohung für Amerika und den Westen hochstilisiert. Der Mittlere Osten entwickelte sich fortan zu einer Region, deren Zukunft auf vielfältige Weise mit dem Schicksal der US-Hegemonie verknüpft worden ist.
Amerikas
Interesse an dieser Region ist so alt wie die riesigen Ölfunde, jedoch
nicht in erster Linie wegen der eigenen Ölversorgung, wie
fälschlicherweise gemeinhin angenommen wird. Die USA
waren dank eigener Energieressourcen schon immer in der Lage, von
Ölimporten unabhängig zu sein. Sie waren Anfang des letzten
Jahrhunderts in dieser Hinsicht Selbstversorger und sie sind
gegenwärtig im Begriff, durch die flächendeckende Anwendung der
Fracking-Technik erneut Selbstversorger zu werden. Als neue
Hegemonialmacht nach dem zweiten Weltkrieg erkannten die Amerikaner
jedoch rasch, dass sie rivalisierende Weltmächte von sich abhängig
machen können, wenn sie den Mittleren Osten kontrollierten.
Ursprünglich etablierten die USA
zusammen mit Saudi-Arabien, ihrem Hauptverbündeten in der Region,
ein globales Ölversorgungsregime, das dem Westen, China und allen
BRICS-Staaten Energiesicherheit gewähren sollte. In diesem Regime
sorgte Saudi-Arabien für eine ständige Überproduktion. Dank diesem
durch die USA politisch gesteuerten System erfreuten sich sowohl die westlichen Verbündeten wie aber auch die Rivalen der USA,
und dies trotz zahlreicher politischen Turbulenzen während der
gesamten zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, einer
störungsfreien Ölversorgung zu niedrigen Ölpreisen. Doch seit die
neuen ökonomischen Riesen China und Indien Anfang des 21.
Jahrhunderts mit ihrem schier unerschöpflichen Energiehunger
begannen, ihre Versorgung selbst in die Hand zu nehmen, brach das
us-beherrschte Ölregime irreversibel zusammen, die Märkte richteten
sich fortan nach den Gesetzen der Preisbildung bei erschöpfbaren
Gütern, Ölpreise stiegen drastisch an, um sich anschließend an den
Marktmechanismen zu orientieren.[8] Haben die USA
mit dem Verlust ihrer Möglichkeit, den Ölpreis zu steuern, einen ihrer
hegemonialpolitischen Hebel verloren, so konnten sie gerade
dadurch ihre Hegemonialposition auf andere Weise drastisch
stärken. Denn hohe Ölpreise vervielfachten, wie oben gezeigt, den Anteil
des Ölhandels am Welthandel und bewirkten, dass auch die Nachfrage
nach Dollars und US-Staatsanleihen massiv anstieg und der Dollar als
Leitwährung für absehbare Zeit unschlagbar blieb. Um jedoch die
monopolistische Option, die Abwicklung des globalen Ölhandels in
Dollar, für weitere Jahrzehnte aufrechtzuerhalten, bedarf es eines
Mittleren Ostens, der von den USA durch
Regime Changes überall dort, wo dies nötig erscheint, möglichst
vollständig kontrolliert wird, um eventuelle Antidollar-Allianzen im
Keim ersticken zu können. Das neokonservative Projekt „Amerikas
neues Jahrhundert“ mit der Schaffung eines weitestgehend den USA untergeordneten Greater Middle Easts, zielte allem Anschein nach in diese Richtung.
Aus der Perspektive der Neokonservativen wäre die Zersplitterung von widerstrebenden Machtzentren, ethnische und religiöse Konflikte, Bürgerkriege, Chaos, tiefes Misstrauen im Mittleren Osten der Idealzustand, um nach der bewährten Devise teile und herrsche eigene Ziele durchzusetzen. Denn die Ölquellen würden, wie man gegenwärtig im von täglichen Terroranschlägen und Chaos gelähmten Irak beobachten kann, weitersprudeln, da sämtliche Kontrahenten Petrodollars benötigen, um sich Waffen zu besorgen. So wäre keine Macht auf Jahrzehnte in der Lage, überhaupt zu erwägen, den Ölhandel in einer anderen Währung als in Dollar abzuwickeln. Tatsächlich erleben wir gegenwärtig gewaltige Veränderungen in dieser Richtung. Inzwischen haben in Afghanistan, im Irak und in Libyen Regime Changes stattgefunden. In allen diesen Ländern herrschen Zwietracht und Misstrauen, Stammeskonflikte, territoriale Abspaltungen entlang ethnischer Grenzen, gegenseitiger Terror von Sunniten gegen Schiiten und umgekehrt stehen auf der Tagesordnung. Und Al Kaida, das nach offizieller Lesart, der Hauptgrund für Amerikas „Kampf gegen den Terror“ darstellen sollte, hat eine noch nie da gewesene Stärke erreicht. Kaum hatte nach dem Sturz von Saddam Hussein Bush junior im Mai 2003 vom Deck des US-Flugzeugträgers Abraham Lincoln verkündet „mission accomplished“, verbreiteten die US-Neokons die „frohe“ Botschaft, als nächstes sei der Iran dran. Der offene Atomkonflikt mit Iran datiert tatsächlich von Mai desselben Jahres — nur ein Zufall? Die US-Armee setzte sich im Irak jedoch fest, Amerikas Projekt „Greater Middle East“ tritt seitdem auf der Stelle. Ihr Ziel haben die US-Neokons jedoch bis heute nicht aufgegeben. Ein Regime Change im Iran steht weiter auf ihrer Agenda, die massive Aufrüstung Saudi Arabiens und anderer arabischen Golfstaaten und das Schüren des Bürgerkrieges in Syrien, trägt ihre Handschrift. Obamas Versuche im Atomkonflikt mit Iran und im Syrienkonflikt gegenzusteuern, bewegen sich auf Messers Schneide, weil die Neokons mit ihrer Mehrheit im Kongress diese Politik des US-Präsidenten überall, wo sie können, zu torpedieren versuchen.
Dabei verfolgt genau genommen auch Obama das Ziel, einen Regime Change, allerdings im Unterschied zu den Neokonservativen, nicht durch einen Krieg, sondern durch eine Politik des „Wandels durch Annäherung“ herbeizuführen. Durch einen Deal mit der liberal-kapitalistischen Elite der Islamischen Republik, hofft Obama, Iran in die eigene Hegemonialpolitik einzubinden und dadurch die immensen Vorteile des Dollar-Imperialismus für die USA zu erhalten, deren Kosten und Risiken aber drastisch zu reduzieren. Die diplomatischen Anstrengungen zur Beilegung des Syrienkonflikts und des Nuklearkonflikts mit Iran gehen in diese Richtung. Ob jedoch diese Rechnung aufgeht, lässt sich schwer voraussagen. Denn sämtliche potentiellen Verlierer dieser Politik, nämlich (1) die gegenwärtig im Iran herrschende Allianz des konservativ-islamischen Lagers und des Militärs, ferner (2) Israels zionistische Elite und (3) das aus Neokonservativen und militärindustriellem Komplex bestehende Bündnis in den USA, haben sich auf unterschiedliche Weise schon jetzt gegen Obamas sanfte Politik in Stellung gebracht und lassen gegenwärtig nichts unversucht, um diese Politik zum Scheitern zu bringen. So oder so dürfte ein Rückzug der USA aus dem Mittleren Osten, wie mit Hinweisen auf die sinkende Abhängigkeit von Ölimporten in letzter Zeit häufiger behauptet wird, ziemlich ausgeschlossen sein. Obamas Ankündigung einer stärkeren militärischen Hinwendung zum asiatisch-pazifischen Raum bei seiner Regierungserklärung nach seiner Wiederwahl ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine vorausschauende Abschreckungsmaßnahme gegen China. Denn Chinas Dollarabhängigkeit stellt zweifelsohne eine gravierende Bedrohung für seine Sicherheit dar. Über kurz oder lang hat diese neue Supermacht keine andere Wahl, als das amerikanische Monopol an der Leitwährung aktiv in Frage zu stellen und die rote Linie der USA zu überschreiten.
Die Alternative: Globale Energiewende und Vielfalt von Leitwährungen
So oder so, treffen gegenwärtig alle Stränge des „Dollar-Imperialismus“ im Mittleren Osten zusammen. Der amerikanische militär-industrielle Komplex ist Hauptprofiteur von „Amerikas neuem Jahrhundert“. Hier tobt sich gegenwärtig ein nukleares wie konventionelles Wettrüsten aus, das das Wettrüsten der 1970er Jahre mit drei daraus resultierenden Golfkriegen in den Schatten stellt. Während nunmehr mit dem Recycling von Petrodollars gegen Waffen erneut ein gefährlicher Teufelskreis voll im Gange ist und jederzeit einen Flächenbrand in der ganzen Region auslösen könnte, kann der US-Rüstungssektor zuversichtlich bleiben: alle US-Regierungen werden, unabhängig von ihrer politischen Couleur, absehbar ihre Politik der Staatsverschuldung fortsetzen und das Militärbudget weiter finanzieren können. Dank steigender Dollarnachfrage und dem fortgesetzten Gelddruck durch die FED,– übrigens auch unter neuer Führung von Janet Yellen — verfügt das US-Bankensystem über derart umfangreiche Geldquellen, die ausreichen, um nicht nur die ökonomisch parasitäre und politisch gefährliche Rüstungsindustrie der USA finanzieren zu können. Dieses Bankensystem ließ auch die US-Bankenkrise hinter sich und erlangte inzwischen jene Macht, um sämtliche guten Ansätze zur Bankenregulierung in den USA und sogar innerhalb der Eurozone erfolgreich zu Fall zu bringen.
Im Grunde ist der „Dollar-Imperialismus“ eine höchst instabile Konstruktion mit schwer vorstellbaren Absurditäten. Zum einen hält diese einen gigantischen Gewaltapparat in den USA am Leben, die nicht die amerikanischen Steuerzahler sondern wir alle und ohne es zu merken mitfinanzieren. Und zum anderen stützt sich diese Konstruktion auf Chaos, Gewalt und Bürgerkriege in der Welt, insbesondere in den ölreichen Regionen, die deshalb auch jederzeit zusammenbrechen und die Welt in schwerwiegende Krisen stürzen könnte. Was könnte eigentlich noch absurder sein als die Tatsache, dass wir alle mit unserem Geld einen parasitären Industriesektor mitfinanzieren, dessen Fortbestehen in letzter Instanz davon abhängt, dass ein Weltfrieden auf dem Planeten Erde niemals zustande kommen darf.
Die verhängnisvolle Rolle der NSA
Zudem erzeugt
diese Konstruktion eine unerschöpfliche Gier nach umfangreichsten
Kontrollen aller Kommunikationsverbindungen, einschließlich des
Ausspähens der Spitzen sämtlicher Regierungen, auch jener der
befreundeten Staaten. Der NSA-Skandal — dank Edward Snowden
enthüllt — dürfte angesichts des in diesem Beitrag skizzierten
Dollar-Imperialismus in einem neuen Licht erscheinen. Wäre es zu weit
hergeholt, die Legitimation eines Sicherheitsapparats, der sogar
die Staatsorgane von befreundeten Staaten, wie jene Deutschlands,
ausspioniert, im Kontext von ausschließlich nationalen Interessen
der USA zu sehen?
Die NSA wurde jedenfalls 1952
und damit zu einem Zeitpunkt gegründet, als von Al Kaida und Nine
Eleven weit und breit noch keine Rede war, von den Vorteilen einer
aufstrebenden Hegemonialmacht mit diversen ökonomischen
Privilegien aber schon. Heute geht es wohl u. a. um nichts weniger als
um das klare Interesse der einflussreichsten Allianz aus MIK und Finanzsektor in den USA,
die um der eigenen Existenz willen darauf angewiesen ist, sämtliche
Schritte und Bewegungen in der Welt, die den gegenwärtigen Status
der US-Währung gefährden könnten, rechtzeitig zu erkennen und mit
allen Mitteln im Keim zu ersticken. Trotz weltweiter Empörung hat Obama
– offensichtlich aus Rücksicht auf seine politischen Widersacher —
bei seiner Rede am 17.01.2014 unterstrichen, dass die USA weiterhin „Informationen über die Absichten fremder Regierungen“ sammeln werden. Ungeachtet dessen stellt die NSA,
wie es sich herausgestellt hat, auch noch die größte Gefahr für die
Demokratie in Amerika und dem Westen insgesamt dar, und zwar in einer
Weise, wie sich Dwight Eisenhower, als er vor dem
militär-industriellen Komplex bei seiner Abschiedsrede gewarnt hatte,
dies nicht vorstellen konnte.
Wäre es daher nicht angebracht, dass sich die Weltgemeinschaft noch
rechtzeitig gegen diese höchst gefährliche Entwicklung wehrt?
Als langfristige Lösung bietet sich die globale Energiewende an, die
auch deshalb zügig vorangetrieben werden müsste. Kurzfristig müsste
aber die Demokratisierung der Weltwirtschaft durch die Abschaffung des Monopols der USA
am Weltgeld, auf der weltpolitischen Agenda stehen. Was wäre
natürlicher als die Etablierung einer den tatsächlichen ökonomischen
Kräfteverhältnissen Rechnung tragenden Vielfalt von
Leitwährungen, neben Dollar also auch Euro und Renminbi.
Eine solche Alternative würde auch den langfristigen Interessen der Amerikaner dienen, trüge sie doch dazu bei, dass die USA
im Ergebnis die parasitären Teile ihrer Ökonomie abstoßen. Im
Interesse einer stabileren, friedlicheren und demokratischeren Welt
ist sie auf jeden Fall unausweichlich. Andererseits zeigen Obamas
eigene bitteren Erfahrungen, von nahezu allen seinen guten
Reformansätzen abrücken zu müssen, dass die USA
allein und aus eigenen Kräften zur Zurückdrängung parasitärer
Interessen der heimtückischen Allianz von Finanz und Militär kaum in
der Lage sind. Eine durch EU und China voranzutreibende Leitwährungsvielfalt könnte jedoch den USA
helfen, den bisherigen Pfad der Wohlstandsvermehrung durch
imperialistische Methoden zu verlassen; die eigenen
Leistungen und Produktivitäten sind ohnehin unermesslich.
Noten
[1] Zu den Zahlen vgl. Fiscal Year 2014, Historical Tables. Budget of the U.S. Government, Washington DC, S. 143f.
[2] Leider übersehen Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten die Sonderrolle der nach außen gerichteten US-Notenbankpolitik und führen, trotz der gravierenden Folgen für den Rest der Welt, die expansionistische Dollarvermehrung analog zur Geldpolitik der übrigen kapitalistischen Staaten ausschließlich auf interne Bedürfnisse der USA zurück. „Die US-Notenbank Fed“, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die nach einer Analyse der Frankfurter Rundschau von 30. Januar 2014 in den letzten Jahren “mehr als 3000 Milliarden Dollar in die Welt gepumpt hat“ …“richtet ihre Politik nach den Bedürfnissen der USA aus, um dort die Konjunktur und die Preisstabilität zu fördern.“
[3] Zitiert nach David Graeber: Schulden, Stuttgart 2012, S.384f.
[4] Fiscal Year 2014. Historical Tables a.a. O. S.50ff.
[5] Ebenda,S.383
[6] Ebenda, S. 386
[7] http:/www.newamericancentury.org/statementofprincipales.htm
[8] Ausführlicher Mohssen Massarrat: Rätsel Ölpreis, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10⁄2088
Danke Tlaxcala
Quelle: http://www.ettelaat.com/etiran/?p=26187
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 10/10/2013
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=12144